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Kurze Notizen.
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blauen Himmel mit rosafarbenen Wölkchen hinein. Dann
erlischt das Bewusstsein schmerzlos — gewöhnlich im Moment
des Aufschlagens, das aber höchstens noch gehört, niemals
schmerzend gefühlt wird. Von den Sinnen erlischt
wahrscheinlich das Gehör zuletz t. Der schweizerische
Alpenklubist Sigrist, der rücklings vom Gipfel des Kärpf-
stockes, Kanton Glarus, herunterfiel, berichtete Prof. Heim;
„Der Sturz, der doch nach hinten hinaus erfolgte, war durchaus
nicht, wie man gewöhnlich glaubt, von dem beängstigenden
Gefühl begleitet, das man oft im Traume hat; ich glaubte
mich schwebend auf die angenehmste Weise nach unten
getragen und hatte vollstes Bewusstsein während des Falles.
Ich überblickte ohne Pein und ohne Beängstigung meine
Lage und die Zukunft meiner Familie, die ich durch Versicherung
für geborgen hielt, und zwar mit einer Raschheit,
wie sie sonst nie möglich wäre. Von Verlieren des Athmens,
wie die Leute oft behaupten, war keine Spur, und erst der
starke Anprall unten auf dem schneebedeckten Feldboden
nahm mir schmerzlos das Bewusstsein. Die vorherigen
Schürfungen an Kopf und Gliedern fühlte ich nicht. Ich
könnte mir keine leichtere, schönere Todesart denken. Das
Wiedererwachen allerdings brachte dann andere Gefühle."
Die eigenen Erfahrungen über die Empfindungen beim Absturz
schildert Professor Heim folgendermassen: „Eine Truppe guter
Berggänger stiegen wir 1871 bei noch ziemlich viel Schnee
vom blauen See am Säntis (Kanton St. Gallen) gegen die
Seealp hin. Ich ging voran. Wir kamen oberhalb der Fehlalp
bei etwa 1800 Meter an den oberen Rand eines steilen
Schneecouloirs, das schief zwischen zwei Felsköpfen steil
hinab sich zog. Die anderen zauderten, ich fuhr sofort stehend
hinab. Es ging sehr schnell. Der Luftzug wollte mir den
Hut abnehmen. Anstatt ihn fahren zu lassen, beging ich
den Fehler, ihn noch rasch halten zu wollen. Diese Bewegung
brachte mich zu Fall. Nun vermochte ich meinen Sturz nicht
mehr zu regieren. Ich trieb mit Windeseile zu dem linksseitigen
Felskopf, prallte am Felsbord hinauf, fuhr dann auf
dem Rücken, mit dem Kopf nach unten, über den Fels und
flog schliesslich noch circa 20 Meter frei durch die Luft,
bis ich auf der Schneekante unter der Wand liegen blieb.
Sofort, als ich stürzte, sah ich ein, dass ich nun an den
Fels geworfen werden müsse, und erwartete den Anprall.
Ich grub mit gekrallten Fingern in den Schnee, um zu
bremsen, und riss mir dadurch alle Fingerspitzen blutig,
ohne Schmerz zu empfinden. Ich hörte genau das Anschlagen
meines Kopfes und Rückens an jeder Ecke des Felsens, und
ich hörte den dumpfen Schlag, als ich unten auffiel. Schmerzen
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