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Maier: Naturwissenschaftliche Seelenforschung. 49g
Aufwendung kräftiger Impulsirungen die Muskelthätigkeit
noch eine Zeit lang fortgesetzt, so müssen allmählich durch
die stärkere Inanspruchnahme der emotionellen und intellektuellen
Ladungen der sensiblen Zellen auch diese selbst
an Aktualitätsfähigkeit einbüssen und es tritt dann jener
Zustand körperlicher und geistiger Ermüdung ein, der in
der völligen Erschöpfung gipfelt. —
Die Annahme einer besonderen „psychischen Kraft" oder
vitalen Energieform wird von den „modernen" Vertretern
der Physiologie und Biologie, welche, eben weil sie der
herrschenden „Mode" huldigen, auch gegenüber den überzeugendsten
Argumenten und Thatsachen von einer „Psyche"
durchaus nichts hören oder wissen wollen, hauptsächlich aus
dem Grunde für überflüssig erklärt, weil sie nach dem alten
Grundsatze: „entia praeter necessitatem non esse multi-
plicanda" sämmtliche Lebenserscheinungen, inclusive der
Willkürmuskelbewegungen, von den einfachsten bis zu den
komplizirtesten aus den schon bekannten statischen und
dynamischen Energien vollkommen erklären zu können behaupten
. Verlangt man jedoch eine solche Erklärung nur
der aller einfachsten Lebensvorgänge in ihrer erfahrbaren
Kausalität, so werden einem statt einer einzigen und eben
deshalb einleuchtenden Erklärung gleich ein halbes Dutzend
Hypothesen aufgetischt. JPür die Verfechter der materialistischen
Theorien, welche die Lebenserscheinungen als
Funktionen mechanischer Bewegungsenergien, speziell als
Kundgebungen chemischer Spannkräfte ansehen, gilt eben
der Grundsatz: „Wir haben es auf der Hochschule so gelernt,
folglich muss es so wahr sein." Aber die eigentlichen Forscher,
für welche der bescheidene Verfasser ein typisches Beispiel
ist, die wirklichen und richtigen Priester der Wissenschaft
sind allezeit weit abgestanden von dem Haufen der besoldeten
Vulgär gelehrten.
Ueber das Wie der Lebensvorgänge und über das
Wesen und die Art ihres Zusammenhangs gehen die Ansichten
der offiziellen Vertreter der Naturwissenschaft weit
auseinander. Insbesondere herrscht darüber Streit, wodurch
die Trennung der Nahrungsmoleküle in dem aus Protoplasmazellen
aufgebauten Organismus und die Spaltung in ihre
„Atome" veranlasst werde, wie sich die Verbrennung der
verschiedenen Stoffe vollziehe, ohne dass das überaus leicht
zerfallbare und oxydirbare Protoplasma und somit der
Organismus selbst mitverbrenne, und worin die Wirkung
äusserer Keize innerhalb des letzteren bestehe. Die experimentelle
Herstellung auch nur des allereinfachsten Lebewesens
erweist sich nach allen bisher aufgestellten Theorien als unmög-
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