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510 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 8. Heft. (Atigust 1900.) J
menschliche Bestimmung, widme; der zum Selbstforschen
fähig gewordene Verstand wird sich nie wieder in die Fesseln
eines Systems schlagen lassen, welches sklavische Unterwürfigkeit
von seinen Bekennern fordert.
Der schwächste Punkt im Arsenal der Theosophie ist
ohne Zweifel der dogmatische Geist, der durch einige
seiner weniger einsichtigen Vertheidiger entfaltet wurde; dies
ist jedoch andererseits durch gleiche Intoleranz, die durch
oberflächliche Spiritualisten an den Tag gelegt wurde, ausgeglichen
worden. Leider werden auch in diesem Punkte zu
oft Personen und Sache verwechselt, weshalb auch die
Debatten so oft von unfruchtbarem Zwist erfüllt sind,
während doch vollkommene geistige Ruhe ein wesentliches
Moment in der Entwickelung überzeugender Wahrheit ist.
Gewiss lässt sich nichts gegen einen intelligibel verwertheten
Geisterverkehr einwenden, der in jeder theosophischen
Theorie und Praxis Raum findet; aber hauptsächlich durch
die leichtfertige Vermischung mit psychischen Mysterien wird
ihm von der Theosophie keine Gunst entgegengebracht.
Gewisse Methoden, die jetzt bei Spiritualisten in Ansehen
sind, mögen antitheosophisch sein, obgleich der Hauptgedanke
des Verkehrs mit der Geisterwelt, wenn von einem vernünftigen
Standpunkte aus betrachtet, vollkommene Anerkennung
finden muss. —
Es kann kaum geleugnet werden, dass ein grosser Theil
verurtheilenswerther Leichtsinn durch Untersucher des
Spiritualismus während der letzten 50 Jahre in Europa und
Amerika gezeigt wurde, und es erhob sich auch dagegen
überall eindringlicher Protest. Gewiss, es mag geltend gemacht
werden, dass jene, die in das unsichtbare Reich übergegangen
sind, nur menschliche Wesen wie wir selbst sind; diese
Thatsache spricht uns jedoch nicht von der Nothwendigkeit
los, nach einer Verbindung mit ihnen in einer möglichst
edlen Weise zu trachten. Unser Zeitalter ist jetzt vollauf
reif, um Spiritisten, Theosophen und Psycho-Physiologen —
auf alle Fälle diejenigen, die intellektuell den Kinderschuhen
entwachsen sind, — zu grossen, gemeinsamen Bestrebungen
zu vereinigen, um die erlangten Wahrheiten ihrer Systeme
zum allgemeinen, menschlichen Fortschritt zu verwerthen.
Blindem Fanatismus, beschimpfenden Schmähungen, unwürdigen
Kritiken und grundloser Annahme von Autorität sollte
niemand fürderhin Raum geben. Als Wahrheitsliebende und
Wahrheitssuchende können wir vereint in stets zunehmender
Masse Wahrheitsfinder werden*w —
Es darf wohl einem grossgearteten Optimismus von
Seiten des Verfassers zuzuschreiben sein, wenn er gewisser-
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