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Dankinar: Aus dem Mutterlande des modernen Spiritismus. 527
liehen Anschauung erkennen wir nicht den Gegenstand
selbst, sondern blos alle seine Beziehungen zu unserer Sinnlichkeit
, und diese Beziehungen heissen Erscheinungen. Nicht
die Gegenstände werden gegeben, sondern ihre Form (== Erscheinung
) wird durch die synthetischen Functionen des
Verstandes gemacht. Erst, indem zu dem unendlichen Chaos
der Sinneseindrücke die denkende Vernunft mit ihrer immanenten
Gesetzmässigkeit hinzutritt, entsteht jenes einheitliche
Gebilde, das wir Natur nennen; ein Weltbild, das aus
einer Vielheit beharrlicher Dinge im Baume besteht, welche
Dinge sich in der Zeit bethätigen. Diese Dinge sind Kant
begriffliche Wesenheiten an sich (intelligibilia, voovfieva),
denen zwar nicht empirische Realität, wohl aber intelligible
Wirklichkeit zukommt. Diese reinen Verstandesbegriffe, —
wodurch das Weltbild erst in der Einheit des Bewusstseins
entsteht, — haben objective Gültigkeit, sind also Naturgesetze
, wodurch die logischen Kategorien zu ontologi-
schen werden, aus welchem Gedanken wieder später Hegel'%
Gleichstellung von Logik und Metaphysik hervorging.
Man kann sagen, die Vorbedingung alles wissenschaftlichen
Denkens ist: begriffen zu haben, dass die ganze räumliche
Körperwelt als solche existirt, insofern wir sie wahrnehmen
. Die Sinne rapportiren uns blos das Factum, dass
sie von Etwas erregt worden sind. Die Eigenschaften aber,
die wir den Dingen beilegen, sind nicht objective Wesenheiten
der Dinge, sondern Wirkungen derselben auf unsere
Sinne. Aus der Summe dieser Wirkungen setzt sich das
Bild zusammen, das wir uns von einem Gegenstande machen.
Und Kant konnte mit Recht sagen: „Es ist klar, dass, wenn
ich das denkende Subject wegnehme, die ganze Körperwelt
wegfallen muss, als die nichts ist als die Erscheinung in
der Sinnlichkeit unseres Subjects und eine Art Vorstellung
desselben.64*) Das vorgestellte Object beruht nur in der
Sinnes Wahrnehmung, — ausser uns ist blos das unbekannte
Reale, das auf unsere Sinne wirkt. Nicht aber etwa blos
eine Kategorie des menschlichen Denkens ist das Sein der
*) Man vergleiche aber dazu den Satz: „Also ist der transscendentale
Idealist ein empirischer Realist und gesteht der Materie als Erscheinung eine
Wirklichkeit zu, die nicht geschlossen werden darf, sondern unmittelbar
wahrgenommen wird." — Beide Sätze stehen in der I.Auflage von Kant's:
„Kritik der reinen Vernunft" (von 1781) und zwar (nach Dr. Karl Vor-
(ändert Kantedition citirt) im Anhange p. 744 u. 752. (In Kehrbacfts
Edition „Transscendentale Dialektik" II, 314 u. 323-) Wenn ich auch
nicht Vorländer'* Auffassung, dass Kant blos eine philosophische Methode
lehren wollte, beistimme, so kann man doch diese Edition ^Verlag Otto
Bendel, Halle a. S.) nur Jedermann wegen seiner klaren Einleitung, seinen
instruktiven Fussnoten und wegen des belehrenden Sachregisters empfehlen.
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