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Dankmar: Aus dem Mutterlande dea modernen Spiritismus. 531
wenn man sie überhaupt kennt. Schriftsteller wie Scherner,
Radestock, Maury, E. v. Hartmann, Sielgwich, Baunis, Bernheim,
Moll, Preyer, Sehr en/c-Notzing, P. Janet existiren für diese
geistig Blinden nicht! — Andächtigen Ohres lauschen sie
den grotesken Offenbarungen des sie umgebenden problematischen
Rüpelseelenschwarms.
Der amerikanische Spiritismus verachtet ausser der
Geistertheorie „pur et simple" jede andere Theorie. Er ermangelt
meist, soweit ich ihn kenne, der elementarsten
Vorsicht beim Experimentiren und sucht dieses Minus an
Vorsicht durch ein Plus an Seancen zu ersetzen, so den
wahren Kern des Spiritismus schwer compromittirend.
Dieser amerikanische Spiritismus bildet dadurch auch den
unwissenschaftlichen Gegenpol zu dem hyperwissenschaftlichen
Genus der Xenologen oder Grenzwissenschaftler,
welche, alle andern für Dummköpfe, sich selbst aber für
Autoritäten haltend, wähnen, die Forschung über den Spiritismus
fänge erst mit ihren Beobachtungen an, indem sie
alle andern Beobachtungen verwerfen, die ihrigen aber für
allein massgebend halten, und, ganz und gar in Detailkram
aufgehend, da ihnen jeder wirklich grosse Gesichtspunkt
fehlt, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen, weil sie
sich stets blos selbstgefällig um ihre eigene Achse drehen und
dabei keinen Schritt vorwärts kommen. — Der amerikanische
Spiritist dagegen stützt sich blos auf sogenannte „Thatsachen",
ohne weiter zu untersuchen, wo der „zureichende Grund"
für diese liegt, ohne genauer zu prüfen, ob sie sich auch
wirklich so ereignen, wie der oberflächlichste Augenschein
es lehrt. Er, der sich stets auf den Sensualisten,
für den der Sinnenschein allein massgebend ist, hinausspielt,
hat nicht den Schimmer einer Ahnung davon, wieviel
Fehlerquellen es beim Empfang der Sinneseindrücke
giebt; hat doch ein Philosoph unsere fünf Sinne schlechthin
„Lügenschmiede" genannt! Im menschlichen Beobachtungsvermögen
selbst liegen Beobachtungsfehler des normalen
und des anormalen Zustandes; erstere betreffen das Gehör,
das Gefühl, das Gesicht und die concentrirte Aufmerksamkeit,
den Zeitsinn, die Erinnerung u. s. f. Dazu kommt nun beim normalen
Zustande der Einfluss der Gemüthsbewegung und der
Befangenheit: Erwartung, Spannung, Furcht und Schrecken.
Dass diese Beobachtungsfehler zur Bildung von vielerlei Aberglauben
sehr beitragen, wird jeder Einsichtige zugeben.*)
»
*) Man vergleiche dazu Dr. A. Lehmann: „Aberglaube und Zaubere1
von den ältesten Zeiten an bis in die Gegenwart". (Uebersetzung Dr. Petersen)
IV, 323 ff. u. 351 ff. Natürlich übertreibt Lehmann, da er um jeden
Preis die Möglichkeit ubersinnlicher Phänomene vernichten will, diese Be-
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