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532 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 9. Heft. (September 1900.)
Davon weiss aber der verbohrte Spiritist nichts; darum
sind seine in Unkenntniss all' dieses angestellten Beobachtungen
mehr oder minder werthlos. Er verhöhnt die philosophische
Speculation auch erstklassiger Geister.*) Und
er ahnt dabei nicht, dass durch die dialektische Methode
(die Schleiermacher, so schön als treffend, die „Architektonik
des Wissens" nennt) alle Widersprüche in immer höheren
Einheiten aufgehoben werden (Hegel), und dass sie das pro-
ductive, ergänzende Schauen ist, wodurch aus den Theilen
(= einzelnen Thatsachen), die uns gegeben sind, die Totalität
einer Weltanschauung heraus geschaut wird, wobei
von dieser so erschlossenen Einheit (— Idee) die gegebenen
Glieder geordnet und die fehlenden ergänzt werden (Vlrtct).
Zu mehr oder minder werthvollen E i n z e 1 beobachtungen
kann es wohl ein so gearteter Spiritismus bringen, aber
nie zu wissenschaftlichen Gesetzen und Hegeln, zur theoretischen
Zusammenfassung, zur so nöthigen Eingliederung
des Spiritismus in das Gebiet der schon anerkannten
Wissenschaften. — Dazu kann dem Spiritismus
allein verhelfen die letzte Verallgemeinerung aller Wissenschaften
: — die Philosophie. —
Nur das tastbar-greifbar Materielle ist diesem die Geisteswissenschaften
ignorirenden Spiritismus wirklich. Was ist das
aber: „materiell" ? Was ein Gegenstand sinnlicher Erfahrung
ist, was mit den Sinnen wahrgenommen werden kann. Damit
kommt man aber nicht weit. Leugnet etwa Jemand die Existenz
von Gedanken ? Doch nicht. Kann man denn aber einen
Gedanken sehen, oder mit den Händen tasten? Oder mit
dem Mikroskope untersuchen? Oder chemisch zerlegen?
deutung der Beobachtungsfehler ausserordentlich. Ganz abgesehen davon,
dass Jeder, der spiritistische Sitzungen mitgemacht hat, weiss, dass absolut von
Gemüthsbewegung, Befangenheit oder gar Furcht recht wenig zu bemerken
ist (besonders bei den eingefleischten Spiritisten), so könnte felbst bei Vor-
handensein dieser Gemütsbewegungen dennoch das Resultat der Beobachtung,
in der Hauptsache, ein tadellos richtiges sein. Wo ist mehr Spannung,
Gemüthsbewegung, seelische Depression, Todesfurcht, körperliche Erschöpfung
und drückendes Verantwortlichkeitsgefuhl vorhanden, als im nervenzerrüttenden
Gewühle der männermordenden Feldschlacht? Wie könnte man da je
einer Regimentsgeschichte, je einem Generalstabswerke den geringsten Glauben
beimessen? Nach der genialen Methode des „Edelfalkenu Lehmann — niemals
!
*) Ein mir persönlich sehr werthtr Deutsch - Amerikaner hat
über mich in den „Internationalen Blättern flu- Spiritismus*' (4 u. 5) unter
dem Titel: „Ein deutscher Spiritist in Amerika" geschrieben. Er spottet
über den Begriff Speculation und stellt in einer, durch gar keine philosophische
Fachkenntniss getrübten Naivität, diese den Speculationen der Finanzwelt
gleich. Sachliche Gründe bringt er allerdings nicht vor, meint aber, mit
Witzen die riesigen Gedankensysteme des indogermanischen Ostens über den
Haufen zu werfen. Wahrlich, das ist Don Quijoteriel
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