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562 Psychische Stadien. XXVII. Jahrg. 9. Heft. (September 1900.)
begrifflich zu beschreiben, sondern auch zu erklären, es
wissenschaftlich zu definiren. Der nächste Zweck aller
Bewusst wer düngen ist die Möglichkeit und die Ausbildung
der Urtheilsfähigkeit und zwar der Fähigkeit, Wirklichkeits-
urtheile zu bilden, Erkenntnisse, nicht blos logische Urtheile,
zum Vollzuge willensgemässer praktischer Handlungen. Die
blos logisch konstruirten Ideen können blos logische Urtheile
ergeben, deren Wahrheit mindestens zweifelhaft
bleibt. Wie leicht die Kritik irren kann, indem sie lediglich
die Adäquanz logischer Urtheile untersucht und so zu rein
spekulativ konstruirten Ideen, bezw. Hirngespinsten, anstatt
zu Wirklichkeitsvorstellungen gelangt, dafür ist namentlich
Kant, der scharfe Denker, ein leuchtendes Beispiel. Die
psychologische Idee, wie sie Kant dachte, ist nicht
ein blosses „Schema eines regulativen Prinzips«, sondern ein
Schemen, ein nebuloses Begriffsgebilde, ein blosses Phantasma,
so dass sein Nachweis, dass dieselbe (wie auch die kosmo-
logische) keiner Wirklichkeit entspreche, gänzlich überflüssig
war. Auch die Urtheilsform, welche wir Schluss nennen,
ist immer nur eine bedingungsweise, auf eine angenommene
Voraussetzung gestützte.
Wir haben somit dreierlei Arten der Vorstellungs-
Adäquationen oder des Urtheilens: das Erkenntniss, das
Urtheilen im engeren Sinne und das Schliessen, oder das
wahrgenommene, das gedachte und das gewollte Urtheil.
In allen drei Formen ist das Subjekt Ich bezw. die Willensidee
der urtheilende, die zur Adäquation gelangende Objektsidee
dagegen der zu beurtheilende Faktor. Beide Faktoren
bestehen aus Komplikationen bewusstgewordener Empfin-
dungsneuroeymen, verursacht von physischen und psychischen
Funktionen, Energieen in verschiedenen Formen unter der
Bedingung ihrer Zusammenwirkung und ihres dreifachen
Zusammenhanges: nämlich auf subjektivischer Seite, auf
objektivischer Seite und auf jener der beiderseitigen Zusammenwirkung
.
Die Definition des Urtheilens, zu welcher Verfasser
in Anwendung seiner Inschaumethode gelangte, unterscheidet
sich vorteilhaft von denjenigen der offiziellen
Psychologen, die alle an dem Hauptmangel leiden, dass
sie ein Subjekt, eine wirkliche, existente Grösse,
welche urtheilt, gar nicht anerkennen, wofür speziell
Wundts voluntaristische Psychologie angeführt wird,
welche das Urtheilen als „Funktion der Apperzeption"
(die überall zur Erklärung herhalten muss), bestehend in
der „Beziehung und Vergleiehung" zweier psychischer Inhalte
, darstellt. Dagegen ist die vom Verfasser gegebene
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