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564 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 9. Heft. (September 1900.)
theiligen Fall unangenehm. Je öfter eine Ideenbahn mit
allen ihren Komponenten zur Spannung gelangt, desto mehr
wird sie ausgebildet, desto leichter erfolgt ihre Wiederspannung
, bezw. die Entlastung der Aufmerksamkeit.
Insoweit die Vorstellungsneurocymen nach den motorischen
Centren als Impulsirungen der motorischen Zellen
abgehen, bilden sie die Beweggründe der Muskelaktion.
Da jede Bewusstwerdung aus der Vereinigung subjektivischer
und objektivischer Empfindungen besteht, so hat jede
Willkürmuskelaktion zweierlei Motivationen (Beweggründe),
subjektivische und objektivische oder anders gesagt
emotionelle und intellektuelle. Jedes Mal, so oft eine
Willensidee entsteht, strebt sie, angetrieben von dem sie
veranlassenden inneren Reiz nach einer zu ihrer Befriedigung
dienlichen, von den äusseren Sinnen herrührenden Vorstellung,
also nach Vereinigung mit dem Gegenstande in der Aussen-
welt selbst. Wer Durst fühlt und trinken will, sucht W asser
oder sonst etwas Trinkbares. —
Je umfangreicher der Schatz der Erfahrungen, des
Wissens eines Menschen ist desto umfangreicher kann sich
auch die subjektivische Kritik in ihm gestalten, desto ziel-
bewusster werden seine Vorsätze ausfallen. Die Fähigkeit
des wollenden Subjekts, in komplizirten, mit Ueberraschung
wirkenden Fällen rasch an die Gegenwart anzuknüpfen und
zum Ziele führende Vorsätze zu fassen, heisst Geistesgegenwart
. Der Verstand ist die Beurtheilung der
Verwirklichung der vom Subjekt reaktivirten, zu einem
Vorsatz gehörigen schwachen Vorstellungen in starke, wodurch
die Motivenbildung eine zweckmässige, nämlich
willensgemässe wird. Die Bedingungen hierzu sind erstens
eine gesunde, normale Beschaffenheit der Sinnesapparate
und Nerven, ein gesundes Blut, also überhaupt ein fehlerlos
funktionirendes Gehirn, um innerhalb seiner nervösen Bestandteile
in der von der Inschauerin schon früher deutlich
beschriebenen Weise die psychische Kraft genügend
zur Entwickelung gelangen zu lassen; die zweite Bedingung
ist das Vorhandensein einer aktiven herrschenden Willensidee
, und drittens kommt hierzu die Qualität und Intensität
der durch die äusseren Sinneswerkzeuge dem Gehirn zugeführten
Objektempfindungen. Bewusstseinsinhalte können
nur die aktiven Empfindungen bilden; alle anderen, noch
so zahlreichen Empfindungsladungen innerhalb der Gehirnganglienzellen
bleiben unbewusst. Wäre dem anders, so
würden wir jeglichen, wann immer erfahrenen körperlichen
Schmerz oder Kitzel, jeden Schreck, Angst, Freude,
Trauer u. s. w. immerdar ohne Aufhören fortempfinden, —
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