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Litteraturberioht.
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Ausführungen ebenso reizvoll wie bedenklich sind. Der Urmenschß) —
behauptet er — habe grosse wissenschaftliche Kenntnisse besessen, die, im
Osten entstanden, allmählich nach dem Westen kamen und unterwegs zum
grossen Theil in Verlust geriethen. Er besass die wahre religiöse Erkenntniss.
Die geheimen Gesellschaften haben nun diese Naturweisheit bewahrt. Jede
Geheime Gesellschaft - ob sie nun religiös oder politisch sei — verfolge das
Ziel, den idealen Tempel des Fortschritts zu bauen und die Keime künftiger
Freiheit in die Herzen der Nationen zu pflanzen. Dieses Ziel verleihe ihnen
die sittliche Grösse. Die alte Naturweisheit bestehe in n Gesetzen, die
B. im einzelnen durchgeht. Sie berühren recht sonderbar, und das Räthsel
findet seine Lösung erst auf S. 161, wo wir erfahren, dass Heckelhorn
ausgesprochener Anhänger Jakob Boehme's ist. Wir Deutschen können
stolz auf das Urtheil sein, das der englische Kulturhistoriker über den
Philosophus Teutonikus fällt. Einen Fürst der Mystiker nennt er ihn, neben
dem alle anderen unbedeutend erscheinen, eine der grössten Leuchten der
Wissenschaft, dessen Schriften die Keime aller bisherigen und wohl auch
künftigen Entdeckungen auf dem Gebiete der Naturwissenschaften bergen.
Es kann daher nicht Wunder nehmen, dass H.'s naturphilosophische Auffassung
von Boektne's Ansichten beeinflusst ist und denselben hypothetischen
Charakter wie diese trägt. Beiläufig bemerkt, ist es H. unbekannt geblieben,
dass in Deutschland ganze Sekten nach den Boehme sehen Offenbarungen
leben und dass in Görlitz dem Naturphilosophen jüngst ein Denkmal
errichtet worden ist. —
Das Werk i/.'s enthält fast alles, was über sein Thema bekannt
geworden ist. Eine Uebersicht des reichen Inhaltes zu geben, ist unmöglich.
Ich muss die Leser der „Psych. Stud." auf das Werk verweisen, dessen
Benutzung durch vorzügliche Indices und Litteraturangaben erleichtert wird.
Nur wenige Punkte, in denen mir die Arbeit lückenhaft zu sein scheint,
möchte ich berühren.
\7ermisst habe ich eine Darstellung des Hexenwesens und seiner
Mysterien. Nach dem klassischen Werke von Stanislaus de Guaita „Le
Serpent de la Genese", das B, unbekannt geblieben ist, gehört eine
Darstellung desselben unbedingt in ein Werk, wie das vorliegende. Wie
ich schon oben andeutete, fehlt weiterhin eine Darstellung der modernen
mystischen Gesellschaften« Man kann an einzelnen Beispielen genau nachweisen
, wie B. hier im Dunkeln tappt. So z. B. die kabbalistischen
Bestrebungen. B. kennt von modernen Kabbalisten nur Eliphas Levy. Es
ist ihm ganz unbekannt geblieben, das Barlett, Sedyr, Papus, Stanislaus
de Guaita und der ganze Kreis der „PHyperchimie11 auf diesem Gebiete
eine reiche Thätigkeit entfalten. Sie haben sogar durch vier Jahre hindurch
einen „Almanach" herausgegeben! Bei der Darstellung der Gnostiker
wiederholt sich dasselbe Schauspiel. Weiss denn ff. nicht, dass die Gnostiker
in Paris eine eigene Kirche haben, und dass ihr Patriarch Synesios erst
jüngst einen Katechismus der Gnostiker herausgab? Vintras und sein
Berg Karmel — eine skandalöse Sekte, die im coitus das höchste
Mysterium feiert und gnostische Ideen verwerthet, — sind ebenfalls unberücksichtigt
So steht es auch mit dem Martinismus und den
Rosenkreuzern» Der erstere ist nach B. ausgestorben. In Wirklichkeit
blüht er mit jedem Tage mehr empor. B. mag die „Initiation", das „Echo
d'au deläu, „Lotus bleu", „Lotus rouge" und all die zahlreichen Zeitschriften
dieser Richtung zur Hand nehmen und er wird von der Ausbreitung der
Geheimen Gesellschaften in Paris eine andere Meinung erhalten. Eine
Darstellung der spiritistischen Geheimbündelei wäre endlich noch
wünschenswert!! gewesen.
Diese geringen Mängel können natürlich nicht ins Gewicht fallen, wo
so viel Ausgezeichnetes geboten wird. Es ist ein wahrer Genuss, zu sehen
mit welcher Souveränität B. Herr seines Stoffes geworden ist. Ein Stil
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