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Dank mar: Aus dem Mutterlande des modernen Spiritismus. 605
reichliche Gelegenheit *) Es versteht sich, dass man auch
nicht den grossen, kulturhistorischen Zusammenhang der
Magie kennt; nicht weiss, dass der empirische Spiritismus,
dessen Geburtstag der 31. März 1848 ist, blos die moderne
Erscheinungsform des Occultismus ist, dass jener blos
ein Segment, ein Ausschnitt dieses ist; dass dieser nachweislich
bis ins prähistorische Zeitalter hinaufreicht. — Unbequeme
Thatsachen früherer Jahrhunderte verwirft der
amerikanische Spiritist ebenso, wie er — incredibile dictu!
— das Phänomen der Doppelgängerei leugnet, da es seine
„Geistertheorie §t tout prix" stört. Das ist um so haarsträubender
, als gerade amerikanische Photographen es waren,
die in der Mitte der siebziger Jahre die ersten Photographien
von Doppelgängern der Medien uns lieferten (siehe
Aksakow: „Animismus und Spiritismus" I. Bd. 105 ff.) — Als
ich z. ß. (unter Anderem) den Fall erwähnte, welchen Papus
in seinen: „Considerations sur les ph&aomönes de spiritisme"
bringt, woselbst ein tangibles Phantom, die Reproduction
eines Rafaet'sehen Gemäldes ist, welches das Medium oft
gesehen, da hatte man blos ein mitleidiges Achselzucken.
Man kennt eben nicht die menschliche Exteriorisation,
man will nicht wissen, dass es sich oft und oft gar nicht um
„Geister", sondern um eine aus den Medien entlehnte, von
ihnen geformte Kraft handelt. Da man nun aber auch die
Macht der Suggestion nicht kennt, so weiss man auch nichts
von der (über den Tod hinaus wirkenden) Macht des
Monoideismus, d. i. einer allein dominirenden^ autosuggestiv
wirkenden Einzelidee, und so erkennt man nicht,
dass die Realisirung eines posthumen Monoideismus, eine
Art Traumhandlung des Geistes ist, an dem dieser nicht
mehr Antheil hat, als der Nachtwandler an seinen Handlungen
; dass der seelische Zustand Entleibter durch solche
*) Mein oben erwähnter Kritikus meint auch (in demselben Aufsatze),
meinem Zweifel gegenüber, ob die sich manifestirenden Intelligenzen wirklich
die seien, für die sie sich ausgeben, dass „eine Million Amerikaner gewillt
sei zu beschwören, dass sie ihre verstorbenen Freunde erkannt hätten." Sehr
schön gesagt! Aber ist im Mittelalter nicht auch eine Million (und weit mehr)
ehrenwerther Menschen, im besten Glauben, bereit gewesen zu beschwören,
dass sie den leibhaftigen Teufel mit Hörnern und Schweif gesehen hätten?
Und wie urtheilt man heute über diesen Glauben? Ausserdem erheben sich
gerade gegen den Eid (das Schwören) heute immer mehr ethische Bedenken,
betreffs seinei Anwendung in der staatlichen Sphäre (vergleiche dazu
Matthäus V, 34.) In Sachen der Wissenschaft aber hat ein Eid gar nichts
zu sagen, hier entscheidet ganz allein der experimentelle (und zwar wissenschaftlich
experimentelle) und logisch dialektische Beweis. Oder hat am
Ende Lavoisier die Entdeckung des Sauerstoffs und der Oxydation, oder
Robert Mayer seine Entdeckung der Erhaltung der Kraft, oder Zöllner seine
„vierte Dimension" beschworen?
Psychische Studien. Oktober 1900. 39
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