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628 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1900.)
beschränken. Im Verhältniss zu einander, wenn sie nämlich
als zwei gleichzeitige Existenzen, als Koexistenzen aufgefasst
werden, ist der Unterschied blos quantitativ. In einer Zeitfolge
, in einem Nacheinander (anstatt Nebeneinander)
aufgefasst, existirt nicht einmal ein quantitativer Unterschied
zwischen beiden.
Es giebt nur ein Minimum und ein Maximum auf der
einen wie auf der anderen Seite. Somit ist auch die Zeit
nur das Minimum des Räumlichen, ein Akt der Abstraktion
von dem Räumlichen; daher muss das „Subjektive" durch
Zeitverhältnisse ganz auf dieselbe Weise bestimmt sein, wie
das „Objektive" durch Raum Verhältnisse, und weil beide
eine Einheit, eine Identität ausmachen, so werden und
müssen beide räumlich und zeitlich quantitativ, numerisch,
mathematisch bestimmbar sein.
Offenbar ist das Element des Raumes und der Zeit
dasselbe und zwar ist es laut Gesetz der unendlichen
Theiibarkeit*) bei beiden = „Null", d. h, sie sind beide
geistige Punktionen bald in synthetischer, bald in analytischer
Richtung, sie müssen also irgend wie kommensurabel sein.
Thatsache i3t, dass in der Zeit alles räumlich Existirende
in jedem Augenblicke = + ist. Sowohl die positiven, wie
die negativen Zahlen sind positive Abstraktionen von
der Null oder Synthesen der Null, mit anderen Worten:
Geist und Materie, das Subjektive und das Objektive sind
einander nur relativ entgegengesetzt, wie die positiven und
die negativen Zahlenreihen; und beide sind nur Funktionen
eines Etwas, was in der mathematischen Sprache + heisst.
Wir sagen, dass Materie und Geist nur Punktionen eines
Dinges sind, welches weder die eine, noch der andere ist,
oder welches beide in sich vereinigt. Materie und Geist
sind nur quantitativ vollkommen gleichwerthige und vollkommen
identische (qualitativ gleiche) Punktionen eines und
desselben Agens, abwechselnd in zwei entgegengesetzten
Richtungen.
Raum ist die subjektiv maximale (aber keine absolute)
Abstraktion von der Zeit oder Dauer; Zeit ist die maximale
Abstraktion vom Räume oder von der Ausdehnung. Also
ist Raum ein Streben, eine Aktion der Abstraktion in einer
Richtung, ein Streben nach Vernichtung der Zeitausdehnung,
oder besser gesagt: er ist das Resultat eines Strebens nach
Konzentrirung der Zeit oder der Intension. Zeit ist wieder
*) Das unbeschränkte, aber nie absolute Vermögen der Abstraktion liegt
offenbar diesem Grundgesetz der Physik zu Grunde, und man ist vollkommen
berechtigt zu sagen, dass das Abstraktionsvermögen das Wesen der Welt
ausmacht.
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