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Maier: Naturwissenschaftliche Seelenforschung. 635
Vorgangs in der Aussenwelt einen Verstandesschluss. Der
Verstand beurtheilt den äusseren Erfolg, die Vernunft den
inneren, indem letztere mit den Gefühlen, dem eigenen
subjektiven Ich rechnet.
Wie sich bei den oft und wiederholt ausgeführten Bewegungen
die betheiligten Gehirnbahnen allmählich zu
automatischen Apparaten ausbilden, so erstarken auGh jene
Willensideen, die vermöge der subjektivischen Thätigkeit als
Vernunft am meisten ihren Einfluss auf die Ausführung von
Handlungen geltend machen, zu festen, automatisch wirkenden
Bahnen, welche wir als Grundsätze bezeichnen. Es sind
dies demnach angewohnte Willensarten, die ihren Hunger
bei jeder Gelegenheit dem Bewusstsein fühlbar machen, sich
sozusagen überall hineinmischen; ihre Befriedigung erzeugt
Freude, Zufriedenheit, Genugthuung, ihre Nichtbefriedigung
Zorn, Reue, Unzufriedenheit mit sich selbst (bezw. Weltschmerz
). Vernünftig handeln heisst also seinen Grundsätzen
gemäss handeln; der dem Individuum angeborene
subjektivische Mechanismus mit sammt seinen theils autoproduktiv
entstandenen, theils ihm anerzogenen Grundsätzen
stellt seinen Charakter vor. Die Gesammtheit der in einem
Menschen enthaltenen Grundsätze bildet sein Gewissen.
Selbstredend unterstehen die Willenshandlungen oder Be-
wusstseinskundgebungen gerade so gut wie die objektiven
Naturvorgänge der universalen Herrschaft des Veränderungsgesetzes
. Die Frage, ob der Mensch einen
„freien Willen" habe, ob er „ohne Ursache" so ganz
„von selbst4* wollen könne, ist daher gerade so
absurd, wie die Frage, ob auf einem Grundstücke von
selbst alle möglichen, nur immer denkbaren Pflanzen wachsen
können. Das hängt ja nicht vom Felde allein ab, nicht
einmal vom Samen in ihm allein, sondern von der Zusammensetzung
seiner Humusbestandtheile, von seiner Lage, von
Klima und Witterung und von vielerlei anderen Umständen.
Die subjektivischen Neurocymen sind Empfindungen
subjektiver Reizzustände; sie sind an sich schon nichts Einfaches
, sondern eine je nach der Verschiedenheit dieser Reizzustände
verschiedene organisch-biochemische Modifikation
der primären organisirenden Psychocymen. Und gar erst
die von Repulsaten dieser (Gefühls-)Empfindungen innerhalb
ihrer subkortikalen Centren entstan denen Kollusionirungen
und Illnsionirungen (die seelischen Gefühle) sind schon
für sich allein aus mehrfachen Komplikationen entstanden.
Schon jede einzelne subjektivische Neurocymenfluktuation,
ob sie nun den Bewus .twerdungsprozess eingeht oder nicht,
hat ihre eigene Kausalität und ist daher keineswegs „frei",
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