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642 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1900.)
Und so griff diese Strömung um sich, und kein Anhänger
irgend einer der doch nicht wenigen metaphysischen Theorien
wagte offen dagegen aufzutreten. —
Als ich vor einigen Jahren gegenüber mehreren Theo-
sophen die Absicht aussprach, in Arbeiterkreisen Vorträge
über Okkultismus abzuhalten, rieth man mir dringend davon
ab, da dies ein vergebliches Beginnen sei, - nicht einmal
anhören würde man mich wollen. Und doch habe ich meinen
Vorsatz ausgeführt, und die Erfahrungen, die ich da gesammelt
habe, gehören zu den schönsten Erinnerungen
meines sonst an Enttäuschungen überreichen jungen Lebens.
Ich lud sogar Theosophen ein, mich in eine derartige
Versammlung zu begleiten, und diese waren nicht wenig
erstaunt, als sie ihre Ansichten bei vollster Ruhe und unter
grösster Aufmerksamkeit eines durchaus sozialistisch gesinnten
Arbeiter-Publikums entwickeln konnten. Wie kam das nur?
Welche Politik hatte ich da eingeschlagen?
Ich hatte die Arbeiter zuerst befragt, ob sie mit ihrem
Schicksal zufrieden seien, und als sie einstimmig verneinten,
sie eingeladen, sich sämmtlich umzubringen. Grosse Verblüffung
, Unruhe allerseits! Ich überzeugte die Herren,
dass es vom materialistischen Standpunkte aus unmöglich
sei, einen vernünftigeren Vorschlag vorzubringen. Denn
wenn in dem Augenblick, da der Tod eintritt, alles, wohlverstanden
alles ein Ende hat, so ist nicht einzusehen,
warum man sich so endlos lange mit einem oft unerträglich
scheinenden Dasein abquälen soll. Wenn sich die Diener
alle wegschaffen, müssen schliesslich die Herren selber dienen
— eine glattere Lösung der sozialen Frage giebt es nicht.
Da schleicht ein Todkranker, dort ein Krüppel, dort ein in
Noth gerathener Greis herum, dem keine Möglichkeit winkt,
jemals wieder bessere Tage zu begrüssen. Lehrt euch nicht
der Materialismus, dass das Thor des Todes in ein absolutes
Nichts einmündet? Warum zögert ihr? Was hält euch
zurück? Die Lust am Leben? Was ist die Lust am Leben?
Die Furcht vor dem Tode. Ihr fürchtet euch also vor einem
Nichts? Sonderbar! Ich aber sage euch, dass ihr in euch
das Bewusstsein herumtragt, dass es nach und über diesem
kurzen Dasein noch etwas Anderes, Grösseres giebt. Wie
sehr euch auch der Flitterstaat eines materialistischen Lehrgebäudes
die Augen blendet, das innere Licht verdunkelt
er nur, verlöschen kann es nicht. Hin und wieder überrascht
ihr euch bei einsamem Philosophiren, und da werdet ihr
gewahr, dass es noch etwas über die Schranken der Erkenntniss
weit, weit Hinausragendes geben muss. Hart nicht dir ein
Traum ein fernes Ereigniss verkündet, das deine wachen
fünf Sinne zu enthüllen nie im Stande gewesen wären? Was
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