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688 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 11. Heft. (November 1900.)
Traumvorstellungen gelten, so lange der Schlaf dauert, für
wahr. Unter normalen Verhältnissen sind die Traumvorstellungen
immer auch willensgemäss: der Hungrige träumt
von reichbesetzter Tafel, der Durstige kann nicht genug
Gläser ^eren, der Kaufmann macht im Traum die besten
Geschäfte, der Mathematiker löst mit Leichtigkeit die
schwierigsten Rechenexempel u. s. f. Die subjektivischen
Neurocymen können zwar allerlei Willensideen reaktiviren
oder auch die vorhandenen Repulsionen zu neuen Repulsaten
(Traumideen) verbinden, also autoproduktiv wirken;
weil ihnen aber die Wahrnehmungen und folglich auch die
Erkenntnisse fehlen, so können sie auch nicht an die gegenwärtige
Wirklichkeit, an die den Träumer umgebende
Aussenwelt anknüpfen, es fehlt ihnen gleichsam jede
positive Nahrung, sie können nicht ihre objektive
Verwirklichung herbeiführen. Das Traumbewusstsein ist aus
diesem Grund ein beschränktes und, je weniger umfangreich
es ist, desto weniger Ueberlegungen kommen zu Stande,
desto unlogischer sind die geträumten Handlungen, desto
vernunftwidriger erscheinen dem Erwachten, der sich seiner
Träume erinnert, seine geträumten Thaten. Eben weil es
dem Träumenden an direkten Aussensinnrepulsionen fehlt,
ist unter normalen Verhältnissen im Traume eine willkürliche
Bewegung unmöglich; denn mittels der subjektivischen
Neurocymen allein können ja höchstens solche Bewegungen
ausgelöst werden, welche als Reflexe erscheinen, wie
Seufzen, Lachen, Beeinflussung der Athmungsbewegungen,
mimische Bewegungen der Gesichtsmuskel, also nur unwillkürliche
Bewegungen.
Gar oft sind die Träume Abdruck der inneren Reizzustände
oder der krankhaften Erscheinungen; deshalb
fühlen wir auch im Traume Schmerz und Lust, überhaupt
alle Gemüthsbewegungen, immer unter Mitwirkung der
schöpferischen Phantasie, als Träume; denn letztere
ist nichts anderes als sprungweises Illusioniren der verschiedensten
, oft ganz und gar unzusammenhängenden Ideenbahnen
. Jedenfalls sollte dem Studium der Träume, des
Trauminhaltes und der begleitenden organischen Zustände
viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, als dies gegenwärtig
gemeinhin der Fall ist. Gerade weil hierbei schon
die physiologischen Prozesse und ihr kausaler Zusammenhang
, um wie vielmehr die psychologischen des Schwindens
des Bewusstseins, der Entstehung der Traumvorstellungen
und des Erwachens unbekannt sind, trat bisher, wie überall
, wohin die exakte Forschung noch nicht gelangt ist,
auch hier die Hypothese spekulativ ein, indem sie die
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