http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0695
692 Psychische Studien. XXVII Jahrg. 11. Helft. (November 1900.)
vollzieht. Der die Hypnose einleitende Zustand wird gewöhnlich
als „Somnolenz", das erste Stadium als „hypnotische
Lethargie", das zweite als „hypnotische Katalepsie
" oder mit Berücksichtigung der darin auftretenden
psychologischen Erscheinungen, als Traumsomnambulismus
(hypnotischer Traumzustand) bezeichnet. Das dritte
hypnotische Stadium, das des „hypnotischen Wach-
Somnambulismus", gleicht wieder mehr dem normalen
Wachzustande, wobei die Sinneswahrnehmungen eine überaus
grosse Schärfe zeigen.
So hat bekanntlich Alfred Lehmann mit Hilfe von Hohlspiegeln
nachgewiesen (vergl. Psych. Stud. 1899, S. 253 ff.),
dass der Somnambule jenes minimale unwillkürliche
Flüstern hört und versteht, welches dadurch entsteht,
dass eine Person die einen und denselben Gedanken invol-
virenden Worte zwar sprachlich — N. B. unbewusst! —
innervirt, aber nicht ausspricht, auch gar nicht den
Mund öffnet, sodass die durch diese Innervation entstehende
minimale Vibration der Luftmoleküle erst durch die Nase
hindurch ihren Weg nach aussen nimmt und erst dann das
Ohr des Somnambulen erreicht. Hierher gehören auch zum
Theil die Bewusstwerdüngen jener minimalen Gesichtseindrücke
, die durch Spiegelung von Gegenständen in einem
dem Somnambulen vorgehaltenen Kartonpapier entstehen. —
Dieser Hyperästhesie der Sinnesorgane gegenüber
findet sich das subjektive Gefühlsleben bedeutend herabgesetzt
, auch Herz- und Pulsschlag vermindert und der
ganze vitale Kräftestrom verringert, aber nur solange, als
keine Gefühlssaite vom Agenten (Hypnotiseur) angeschlagen
wird. Eine ausserordentliche Leistungsfähigkeit bekundet
der Perzipient (Hypnotisirte) auch in Bezug auf die Reak-
tivirung früherer Erlebnisse; sein Gedächtniss gleicht im
somnambulen Zustand einem offenen Buche, der Hypnotiseur
braucht nur an irgend ein (im normalen Zustand längst
vergessenes) Erlebniss zu erinnern, so taucht es sofort mit
allen Einzelheiten wieder auf. Dieses Abbängigkeitsverhält-
niss von der Willenskundgebung des Hypnotiseurs heisst
„hypnotischer Rapport". Der von diesem ausgeübte
mächtige seelische Einfluss zeigt sich insbesondere darin,
dass die von ihm ausgehenden Behauptungen, also Surrogatvorstellungen
, die gleiche Wirkung wie sonst Wirklichkeitsvorstellungen
ausüben. Dazu kommt der im oder am Somnambulen
erzielbare physiologische vegetative Effekt. Der
Hypnotiseur kann durch blossen Befehl die Herz- und Pulsschläge
verlangsamen und beschleunigen: er kann bewirken,
dass sein Medium Kälte oder Hitze empfindet, so dass seine
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0695