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704 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. lt. Heft. (November 1900.)
aus den Phänomenen selbst, die man nicht annehmen kann,
wenn sie nicht mit absoluter Sicherheit festgestellt sind.
Wir werden uns aber hierauf nicht einlassen, weil für
uns diese Sicherheit durch die grosse Zahl und durch den
Werth der bereits vorhandenen Zeugnisse nachgewiesen
ist. Ein zweiter Einwurf dagegen erscheint uns sehr gewichtig,
nämlich der, dass die Kundgebungen [die telepathischen
Anmeldungen] Sterbender nicht nur nicht immer
stattfinden, nicht nur nicht (wie man doch erwarten könnte)
zahlreich sind, nicht nur bloss in Ausnahmefällen
konstatirt werden, sondern dass sie nicht unter solchen Umständen
vorkommen, wo es scheinen möchte, dass sie gerade
nothwendig eintreten sollten: aus Anlass eines tragischen
Todes, der zwei durch zärtliche Liebe verbundene Herzen
unerwartet trennt, aus Anlaes eines Dramas, das auf einen
Schlag mehrere Existenzen vernichtet, nicht einmal dann,
wenn das geliebte Wesen, das stirbt, bestimmt versprochen,
selbst gehofft und sehnsüchtig gewünscht hat, dem Ueber-
lebeuden einen Beweis seiner posthumen Existenz zukommen
zu lassen.*) Wir können ja antworten, dass wir die Bedingungen
nicht kennen, unter welchen diese Kundgebungen
erfolgen können, dass offenbar die Sterbenden
und die Toten nicht einfach thun, was sie wollen, dass es
uns unbekannte Gesetze, Schwierigkeiten, ja Unmöglichkeiten
geben kann, dais es erforderlich ist, dass die beiden betheiligten
Gehirne harmonisch zusammenschwingen
und zwar zu gleicher Zeit, um unter demselben Einfluss
zu erzittern, dass die intime Verbindung zweier Herzen noch
lange nicht die syn chronische Gleichheit zweier (verschieden
gebauter) Gehirne beweist u. s. w. Da aber diese Ereignisse
doch dann und wann stattfinden und zwar bisweilen
in ganz gewöhnlichen Fällen, bleibt der Einwurf nichts
desto weniger als sehr gewichtig bestehen. Ja mit grossem
Gewicht! Was mich persönlich betrifft, so befand ich mich
schon mehrmals während dieses Lebens in dem Fall, dass
mir das Herz durch die jähe Trennung von einem geliebten
Wesen zerrissen wurde. Als ich noch jung war, starb mir
ein intimer Freund, ein Schulkamerad, der mir ausdrücklich
versprochen hatte, mir, wenn es ihm irgend möglich wäre,
sein Weiterleben zu beweisen; hatten wir doch so oft mit
jugendlichem Eifer die Frage der Fortdauer zusammen
erörtert! Später schlug mir einer meiner theuersten Kollegen
auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Publizistik diese
*) Man vergl. hierzu die lichtvollen Ausführungen von Hofrath Seiling
über diese alte Streitfrage mit spezieller Bezugnahme auf du Prel, im Augustheft
S. 475 unten. — Red.
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