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Kurze Notizen.
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meinem Wagen eine steilere, lange Anhöhe hinan; es ging
langsam im Schritt und die Hitze des Tages brachte mich in
einen duseligen Halbschlaf. Da sah ich plötzlich meine Patientin
deutlich vor mir sich in einem schrecklichen Anfall winden,
und zugleich fühlte ich einen so starken Drang ihren Namen
zu rufen, um sie vom Anfall zu erlösen, dass ich nicht widerstehen
konnte und am Ton meiner eigenen Stimme erwachte.
Ich beachtete den Vorfall wenig und hielt ihn für einen
gewöhnlichen Traum, wie es mir häufig nach angestrengter
Arbeit an heissen Nachmittagen im Wagen passirt. —
Gestern nun, am 15. d. M., kam die Patientin in meine
Sprechstunde und klagte mir, sie habe Tags zuvor wieder
heimkehren müssen, da die Anfälle sich wieder eingestellt
hätten, Schon seit einiger Zeit hätten sie in Form leichter
Schwindelanfälle sich gemeldet; am Dienstag; den 11. d. M.,
aber habe sie Nachmittags zwischen drei und vier einen ganz
ungewöhnlich heftigen Anfall bekommen, der bis Nachts zwei
Uhr gedauert habe. Der zugerufene Arzt habe nichts dagegen
zu thun vermocht. — Der Fall scheint mir doppelt interessant
: erstens vermuthe ich in der zeitlichen Ueberein-
stimmung des Eintritts des schweren Anfalls am 11. September
und meines Traumes einen telepathischen Einfluss;
sodann aber glaube ich, dass diese Thatsache darauf hinweist
, dass vielleicht diese merkwürdige Erscheinung durch
geeignete weitere Ausbildung zu besseren Phänomenen führen
könnte. Wie dies geschehen könnte, darüber haben jedenfalls
Sie, Herr Professor, ein besseres Urtheil als ich, der
ich die wenige freie Zeit nur zu oberflächlicher Lektüre
Ihrer „Psych. Stud.a benutzen kann und in dem einen Jahr,
seit ich das thue, noch nicht tief in diese Dinge eindringen
konnte. Vielleicht geben Sie mir einen Eath; auf welche
Weise ich die Sache anfangen soll, wofür ich Ihnen im
Voraus bestens danke! Hochachtungsvollst Dr. Greder. —
Es liegt hier offenbar ein Fall des in der okkultistischen Litte-
ratur oft erwähnten „Aussendens des Astralkörpers" zur Zeit
einer K r i s i s, von Seiten der mit ihrem*Arzt in unbewusstem
hypnotischem (bezw. magnetischem) Rapport stehenden
und ihn aus der Ferne herbeisehnenden Patientin vor, wobei
der Einfluss des Hypnotiseurs im Allgemeinen so weit reicht,
als die psychische Funktion überhaupt thätig und wirksam
ist. Wie aber im speziellen Fall eine weitere Ausbildung
dieses Phänomens erfolgen kann, ist aus der Ferne (ohne
persönliche Kenntnissnahme desselben) kaum anzugeben; es
wird wohl eben in erster Linie auf den Versuch ankommen,
durch entsprechende Suggestion das hypnotische Vorstadium
der Somnolenz allmählich in den Zustand der Lethargie,
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