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712 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 11. Heft. (November 1900.)
bezw. des hypnotischen Somnambulismus überzuführen und
dann die Kranke während ihre» Schlafes durch geschickte
Fragen hinsichtlich der (übrigens sehr seltenen) Fähigkeit
des hypnotischen Hellsehens zu sondiren, wobei wir auf
unsern ausführlichen Bericht über Rud. Mütter1^ hochinteressante
Inschau-Experimente verweisen. Eine hübsche
Zusammenstellung der bekanntesten einschlägigen Fälle von
Hysterie nebst praktischer Anweisung und fachwissenschaftlicher
Beurtheilung vom Standpunkt der exakt medizinischen
Forschung aus findet der freundliche Her:- Einsender zum
Zweck rascher Orientirung in dem gegenwärtig bei 0. Mutze
erscheinenden illustrirten Lieferungswerk des auf diesem
Gebiet vorzüglich bewanderten Dr. med. G. H. Berndt: „Das
Buch der Wunder und der Geheimwissenscbaften" von S. 12
ab, namentlich im 4. Kapitel des ersten, dem Hypnotismus
(incl. Mesmerismus) gewidmeten Theils über die früher auf
„Besessenheit" zurückgeführten hysterischen Erscheinungen.
d) Die Stigmatisirte von Paris. — In Paris
war dieser Tage unter anderen Kongressen auch ein Kon«
gress für Hypnotismus und Suggestion versammelt,
deren Theilnehmer u. A. das grosse Spital der Saipetriöre
besuchten, wo ihnen der Chef der hypnotischen Abtheilung,
Dr. Jules Voisin, seine Heilmethode demonstrirte und mehrere
Erfolge seines hypnotischen Verfahrens vorführte. Unter
seinen Kranken befindet sich gegenwärtig eine Frau im
Alter von 40 Jahren, die im Jahre 1889 von einer seltsamen
Krankheit ergriffen wurde: sie glaubte gekreuzigt
zu sein und ging nur noch auf denFussspitzen. In
Folge dessen stellte sich eine Kontraktion der Muskeln ein,
die auch der Heilung durch Suggestion, der die Frau vor
drei Jahren unterzogen wurde, schwere Hindernisse entgegenstellte
; nur zeitweise und nur auf halbe Tage kann
bis jetzt die Frau in gewöhnlicher Weise gehen. Die Frau
wies zugleich die Zeichen der Stigmatisation, d.h. die
Wundmale des Gekreuzigten an Händen und Füssen auf;
diese Zeichen erschienen namentlich zur Zeit gewisser
Kirchenfeste. Um festzustellen, dass es sich um keine
Täuschung handle, Hess Dr. Voisin einen Schuh aus Kupfer
herstellen, der eine mit Glas verschlossene Oeffnung über
dem Eiegen hatte; durch diese Oeffnung konnte man den
Fuss deutlich betrachten. Der Schuh wurde dem Fusse angezogen
und die Befestigung versiegelt, so dass er ohne
Verletzung des Siegels nicht ausgezogen werden konnte.
Gleichwohl erschienen die Stigmata wieder, die sodann
photographirt wurden. Die Frau hatte noch andere Wahnideen
; sie glaubte nämlich, sie habe kein Gewicht; das
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