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Kossuth: Das Newton'sche Gesetz als Grundprinzip etc. 757
ist. Wenn dagegen der Metaphysiker oder der Spiritualist
behauptet: alle meine Thätigkeiten werden durch ein freies
Wollen bestimmt, so hat er ganz Recht; aber wenn man
fragt: ist dieses Wollen selbst durch nichts bestimmt? —
so muss er zugeben, dass das Wollen selbst gewissen Gesetzen
unterworfen ist; denn es wird determinirt, bestimmt
und beschränkt —, und zwar durch ein anderes Wollen oder
durch ein Anders- Wollen (was dasselbe ist); es reagirt aber
auf dieses „fremde" Wollen ebenfalls bestimmend, wodurch
ein Automatismus, eine Gesetzmässigkeit oder Kausalität
statuirt wird. Kurz, er muss zugeben: es kann dieses oder
jenes mit sehr hoher oder geringer Intensität gewollt und
auch ausgeführt werden, aber nur in Begleitung von bestimmten
, nothwendigen Folgen, und es muss überhaupt
etwas gewollt werden.
Ja: Du bist frei, dein Wille ist frei, aber dann ist
die Ausführung nicht frei. Ist diese frei, so ist der Wille
nicht frei. Was die Möglichkeit anbelangt, so kannst
du in unendlich vielen Richtungen eine Bewegung ausführen;
aber in Wirklichkeit kannst du doch stets nur in einer
einzigen Richtung dich bewegen, und was du durch dein
Wollen auf einer Seite, in einem Sinne gewonnen, erreicht
hast, musst dunothwendig auf der anderen Seite, in einem
anderen Sinne verlieren. Ferner: es steht dir nur frei, auf
welcher Seite, in welcher Richtung du gewinnen oder
verlieren willst, aber du musst wählen, eine oder die andere,
oder du musst alle beide aufgeben, du musst das Wollen
nicht wollen, was wieder ein Wollen ist, also: du musst
überhaupt wollen.
Also ist die Welt an sich, wie auch Kant richtig erkannt
hat, zugleich frei und Gesetzen unterworfen, und das
Wesen der Welt ist, wie Schopenhauer richtig sagte, ein
Wollen als reine Wirksamkeit oder Wirklichkeit, welches
nothwendig existirt, aber frei wirkt; — welches frei
wirkt, aber mit nothwendigen, gesetzmässigen Folgen.
Freiheit ist nur ein anderes Wort für Möglichkeit,
und Kausalität oder Gesetzmässigkeit ist lediglich ein
anderes Wort für Wirklichkeit.*)
Das Hauptgesetz der physischen oder objektiven,
materiellen Welt — oder das Hauptgesetz der Welt, physikalisch
ausgedruckt, ist: die Unzerstörbarkeit der Materie
oder der Kraft, richtiger: die Erhaltung der Energie,
*) Mit dieser (vom Verf. vortrefflich begründeten) Erkenntniss darf wohl
die immer von neuem auftauchende Streitfrage nach der Willensfreiheit
als endgiltig gelöst betrachtet werden. — Red.
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