http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0033
Sellin: Ein Kampf um Schatten.
25
nöthigenfalls abzulösen. Und ferner da kein Adept oder
Chela zu gewissen regelmässigen Perioden einen Frauenkörper
berühren oder ihm nahe kommen kann, oder auch
wenn sie an irgend einer Frauenkrankheit leidet, so hatte
eine schreckliche, übellaunige, grobkörnige, unwissende alte
Tibetanerin für den Adepten oder die Chelas eintreten
müssen, — da sie das einzige weibliche Wesen ist,
das zu diesem Zweck zu haben war. Es scheint, dass,
wenn einer dieser vier den anderen ablöst, er keine Ahnung
von dem hat, was die anderen drei gesagt oder gethan
haben; so entsteht natürlich endlose Verwirrung. Das erklärt
die Erscheinung, dass Madame so häufig leugnet, was sie
wenige Stunden zuvor gesagt hat, eine Erscheinung, die
natürlich Hoägsonh Verdacht im höchsten Mass erregte. Es
erklärt sich daraus auch, dass sie bisweilen weniger vom
Okkultismus zu wissen scheint als wir, und dann wieder mit
der Kraft und Autorität eines Eishi spricht. Mehrere
Monate lang hat, in Folge ihrer verschiedenen Krankheiten,
das schreckliche alte Weib fast die ganze Zeit hindurch
fungirt und ihre ganze Umgebung hatte demzufolge von
ihrer Laune zu leiden. Gleichwohl hält der Adept noch
die Verbindung aufrecht, wir denken in der Hoffnung, dass
er im Stande sein werde, die „secret doctrinea durch sie
zu vollenden. Ob aber dieser arme kranke Körper lange
genug für diesen Zweck zusammengehalten werden kann, das
kann gegenwärtig Niemand vorher wissen. Selbstverständlich
ist d i e s e w a h r e E r k 1 ä r u n g für Aussenstehende nutzlos.
Gleichwohl können wir, denke ich, auch ihnen gegenüber
für Madame's Widersprüche eine Erklärung
bieten, ohne bewusste Verlogenheit auf ihrer Seite zuzugeben
, wenn wir ihnen erzählen, dass sie als Russin grosse
Neigung zu Uebertreibungen, gepaart mit einem siebartigen
Gedächtniss und überstürzter ungenauer Ausdrucksweise,
besitzt, besonders wenn wir hinzufügen, dass das Englische
— von dem freilich Olcott rühmt, dass es klassisch sei (Uebers.)
— nicht ihre Muttersprache ist, weshalb sie es häufig missversteht
. Die arme alte Dame! Ihr Leben ist wirklich ein
wunderliches gewesen, und wer kann sagen, was dabei noch
herauskommen mag."
Ich bitte die Leser um Verzeihung wegen der Länge
der Mittheilung. Difficile est satiram non scribere! Ich will
nur hinzusetzen, dass es mir 18fc5 leid that, diese Aufklärung
(!) erst zu einer Zeit zu bekommen, wo ich mit
meinem Urtheil über Madame B.'s Schwindelei im Wesentlichen
fertig war, statt vor meinem ersten Zusammentreffen
mit ihr. Jetzt hat es nur den Werth für mich, gegenüber
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0033