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Maler: Naturwissenschaftliche Seelenfarsehuug. 41
dann aber absolute Geltung, weil das universale
Weltgeschehen nach unwandelbaren, allgemeingültigen Gesetzen
*) vor sich geht.
Der gewöhnlich als Selbsterhaltungstrieb oder Wille
zum Leben bezeichnete primäre subjektive Wille stellt den
nackten, gesunden natürlichen Egoismus des Individuums
dar, der durch die Kultur nur erweitert und veredelt
zu werden braucht. Mit der fortschreitenden subjektiven
Entwickelung, die nach Ausgestaltung des Individuums es
zur Bildung von mit allen eigenen Fähigkeiten ausgestatteten
fortpflanzungsfähigen Keimlingen bringt, entsteht
und gesellt sich zum Nahrungs- und persönlichen Erhaltungshunger
der »exuelle Hunger, als Wille zur Portpflanzung der
Gattung, welcher schon in der Thierwelt, namentlich als
Mutterliebe, die Schranken des natürlichen Egoismus siegreich
durchbricht und zum natürlichen, bis zur Aufopferung des
eigenen Lebens für die Brut führenden Altruismus wird.
Damit erfährt der individuelle Egoismus, der bisher nur
um sich selbst und um das eigene Wohl besorgt war, eine
Ausdehnung auf den zur Befriedigung des Begattungshungers
dienlichen Gattungsgenossen, sowie weiterhin auf den im
neuentstehenden Individuum sich fortentwickelnden Sprossen
des eigenen Selbst, wie auch dann wieder umgekehrt auf
den Ernährer und Beschützer. Der persönliche Egoismus
wird als Egoismus der Familie bereits zum natürlichen
Altruismus.**) War früher dem Einzelnen nur das
gut, was ihm allein frommte, so gilt jetzt als gut das, was
allen Gliedern der Familie zu Gute kommt, und als böse
das Gegentheil. —
Die im schweren Kampf ums Dasein sich von selbst
ergebende, nothgedrungene Annäherung der Familie und der
damit angebahnten Bildung gemeinschaftlicher
Interessensphären der Vergesellschaftung, inbesondere
aber die Antizipation des für die Vergesellschaftung geraeinsamen
Guten oder Bösen als Bethätigung der gesunden
Vernunft erweitert dann im weiteren Verlauf der geschichtlichen
Entwickelung den Egoismus der Familie zum
opferwilligen Altruismus in Bezug auf die gemeinschaftlichen
*) Verf. vergleicht das Weltgeschehen einem Strome; nur wer mit
dem Strome schwimmt, schwimmt „gut", und die Thatsache des Strömens
in bestimmter Richtung die Tendenz des Stromes — ist eben das, was
wir als Weltwille oder Naturwille bezeichnen.
"**) Obige Begründung der Moral auf den Geschlechtstrieb bildet den
Grundgedanken einer schon im Jahre 1876 bei Kovrad Withver in Stuttgart
erschienenen Schrift: J,,Versuch einer monistischen Begründung der
Sittlichkeitsidee" von Prot. Dr. F. Maier.
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