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42 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1901.)
gesellschaftlichen Zwecke, also zum Egoismus der Gesellschaft
, der schliesslich in immer weiteren, um das
nämliche Ich sich bildenden koncentrischen Kreisen zum
Egoismus der Gemeinde, des Volkes, der Nation, des Rechtsstaates
und zuöberst, als Egoismus der Menschheit,
ja aller Lebewesen, — zum generellen Altruismus
führt. — Damit erfährt aber zugleich der Daseinszweck
der mit Bewusstsein begabten Menschen eine ganz bedeutende,
stetig wachsende und fortschreitende Erweiterung. Die
gegenseitigen Rechte und Pflichten stellen sich unter die
Norm, dass das Individuum an altruistischem Beistand eine
verhältnissmässige Aequivalenz dessen zu fordern hat, was
es selbst an Egoismus dem Altruismus beisteuerte. Der
Staat erhält so das Recht, die theilweise Aufopferung des
individuellen Egoismus von jedem seiner Angehörigen za
fordern, dem er dafür seinerseits altruistischen Rechtsschutz
und Hilfe in der persönlichen Noth zu gewähren hat. Weil
aber jede Vervollkommnung durch Urtheilen, durch geistige
Ueberlegung, durch Erfindungen u.s. w., kurz durch psychologische
Produktion erreicht wird, so hat jedwede
manuelle Arbeitsleistung nicht so sehr als physische Kraft-
kistung, sondern als psychologisch geleitete Arbeit ihren
Werth; und damit nicht jeder nun von Anfang an dieselbe
geistige Produktion von sich aus vorzunehmen braucht,
ist es zweckentsprechend, die gewonnenen Resultate geistiger
Thätigkeit den andern, und so sich gegenseitig mitzutheilen
und zu übertragen, wodurch ein sich stets weiter entwickeln-
der geistiger Portschritt entsteht, indem jeder auf den
Schultern der andern weiterbaut. Also nicht nur die mit
den Thieren gemeinschaftliche übliche Nahrung, Fortpflanzung
und Vererbung nach dem Prinzip des Ueberlebens
desPassendsten ist des denkenden Menschen Daseinszweck
, sondern die Mitbethätigung auf dem Felde der
geistigen Produktion, die Zeugung und Vererbung des
Zweckdienlichsten auf dem geistigen Gebiet irgend eines
Kulturzweiges, sei es Industrie, Gewerbe, Verkehrswesen,
Kunst oder Wissenschaft, gehört zum Lebenszweck
des Menschen, weshalb das Gefühl innerer Befriedigung
, die Bedingung wahren Glückes, nur Demjenigen zu
Theil werden kann, der durch seine geistige Leistung irgend
etwas zur Verbesserung spezieller, dem Willen der Natur
entsprechender Mittel schafft und so zur Erreichung des
Weltzweckes der zunehmenden Vergeistigung beiträgt. —
Mit dieser Erkenntniss des Willens und nächsten Zweckes
der Natur finden wir uns zugleich im Besitze der Grundlagen
für die natürliche Moral: die natürlf cheTeleo-
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