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44 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1901.)
giebt die Zahl der im Jahre 1616 verbrannten Unglücklichen
mit 22 an. Auf die folgenden Jahre entfielen nach dieser
Quelle 1617 — 88 Verbrennungen, 1618 ■» 26 Verbrennungen.
Das Jahr 1619 sah 261 „Hexen und Traden" in Gerolzhofen
an der Volkach auf dem Scheiterhaufen enden. Die Inquisitionen
, Folterungen und Hinrichtungen nahmen, anderen
Quellen zu Folge, in den darauf folgenden Jahren an Zahl
immer noch zu, und erreichten ihren Höhepunkt unter der
Regierung des Würzburger Bischofs Philipp Adolf (1622—31).
Das Herannahen des 30 jährigen Krieges schränkte die
grauenhafte Praxis endlich erheblich ein. Bis zum Jahre
1631 waren ihr mindestens 900 Personen, meist weiblichen
Geschlechtes, aber auch Männer und sogar Kinder zum
Opfer gefallen. —
Die neuere Forschung hat unzweifelhaft bewiesen, dass
nicht nur der Glaube au die magischen Fähigkeiten der
Hexen und ihre Zaubersünden an sich barer Unsinn war,
sondern dass auch die Geständnisse der Beschuldigten
keinen Anspruch auf die geringste Glaubwürdigkeit haben.
Was die Hexen freiwillig oder während der Tortur bekannten
, lässt sich nach zwei Gesichtspunkten unterscheiden:
entweder handelte es sich um Visionen und Halluzinationen,
die von den betreffenden somnambul veranlagten Personen
(heute würde man sie „Medien" nennen) in „entzückten,"
träumenden oder sonstigen, nicht normalen Zuständen gehabt
und für reale Vorgänge, thatsächliche Geschehnisse,
statt für Erzeugnisse einer regellosen, überreizten Phantasie
gehalten wurden; oder es waren im Uebermass der Folterqualen
herausgestossene Selbstanklagen, die jeder Begründung
entbehrten und blos eine augenblickliche Befreiung aus den
Händen der Folterknechte bezwecken sollten. Was Friedrich
Nietzsche vom Traume behauptet: dass der geistig noch
ungeschulte Mensch früherer Epochen in ihm eine zweite,
reale Welt kennen zu lernen vermeinte, deren Schein er
nicht von der Wirklichkeit des Tageslebens zu unterscheiden
vermochte,*) trifft im hohen Grade bei der Beurtheilung
aller jener Fälle zu, wo die als Hexen angeklagten Personen
selbst zugeben, mit dem Teufel intim verkehrt, höllischen
Walpurgisnächten beigewohnt und von geheimnissvollen
Adepten Unterricht in dem Geheimwissen der schwarzen
Magie erhalten zu haben. Es ist sehr schwer, im Ernst
daran zu glauben, dass die hohen kirchlichen Würdenträger,
welche die Verbrennungen der „Hexen" genannten ver-
*t Ve^gl. meine Schrift*. ,,.V/(':«('/u''s Träumen und Sterben", München
1900, besprochen in den „Psych. Stud." vor. J. S. 425 u. 487.
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