http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0067
Litteraturbericht.
59
sinniger Forscher, der diese Popularität nie suchte, sondern dem sie als
goldener Apfel in den Schooss fiel. Schon mit dem Massstab der Produktivität
gemessen, steht Rochas einzig da. Er übertrifft darin noch
du Prel ^ was viel sagen will. Ich übergehe seine militärischen Schriften
— er ist Offizier, und führe nur seine psychologischen Hauptwerke an.
Die kleineren Schriften aufzuzählen, ist fast unmöglich. Sein erstes psychologisch
-kulturgeschichtliches Weik — Rochas verbindet stets beide Gebiete
— war „La science des philosophes et Part des thaumaturgesu, 1882 In
demselben Jahre veröffentlichte er „Les epreuves par le feu". 1885 folgten
„La Suspension de la vieu, „L'audition coloree" und „La levitation". Zwei
Jahre darauf erschien sein Hauptwerk „Les forces non definiesu, das mir
leider nicht zugänglich war, da es im Handel vergriffen ist. Die nun
folgenden Werke „Les etats profonds de Phypnose", „Les etats superficiels
de Phypnoseu und „L'exteriorisation de la sensibilite" (1893 ~ l%9$) gehören
eng zusammen. Sie werden durch das — vielleicht beste — Werk
„L'exteriorisation de la motricite" (1896) übertroffen, in dem unter anderem
die Sitzungen mit Eusapia Paladhto dargestellt werden. „Les frontieres
de la physique" (1898) fasste die gewonnenen Resultate zusammen, während
„Les effluves odiques" eine neue Monographie bot. Ins Deutsche ist keines
dieser Werke übersetzt worden. Man übersetzt dafür lieber den mystischen
Wust Allan Kardec's. —
Die Produktivität macht freilich nicht den Gelehrten. Es kommt auf
den Werth, nicht auf die Menge an« Hochas* Verdienste um den Fortschritt
der Wissenschaft können mit Achtung genannt werden. Wenn ich ihn
meinen deutschen Lesern charakterisiren sollte, so möchte ich sagen: Er
ist ein Mittelding zwischen Aksakow und du Prel. Mit Aksakow theilt
er die umfassende praktische Erfahrung. Zahllose Versuchsreihen verdanken
wir seinem unermüdlichen Eifer. Darin übertreffen beide du Prel, dessen
schwache Seite gerade im Experiment liegt. An du Prel erinnert Rochas
in der glanzvollen Herausarbeitung der Theorie. Eine weite Konzeption,
ein grosser Wurf so entwickelt er seine Theorien, und wenn er auch
an die philosophische Bedeutung du Prelis nicht heranreicht, so bleibt
er doch deswegen ein glänzender Theoretiker. Vielle cht ein zu kühner
Theoretiker. Denn seine Theorien laufen mit Siebenmeilen stiefeln und
überholen oft die langsamer schleichenden Thatsachen, während sie den
Thatsachen zwar nicht nachhinken, aber doch nachlaufen sollten. Man
wird Rochas7 Forschungsergebnisse daher stets mit Vorsicht entgegennehmen
müssen. Nur Kritiklosigkeit kann ihnen autoritative Geltung beimessen.
Ein weiterer Fehler - und auch hierin gleicht Rochas sehr du Prel —
ist seine Ucberschätzung des Historischen. Seine seltenen Kenntnisse auf
geschichtlichem Gebiet mochten diese Versuchung mit sich bringen.
Wie wir sehen* verdanken wir Rochas viel, sehr viel. Unter den
Erforschern des Mediumismus nimmt er eine der ersten Stellen ein, und
wenn neuerdings französische Wissenschaft in diesem Gebiete England den
Ruhm streitig macht, so verdankt es dies in erster Linie dem Wirken des
Grafen Rochas d1 Aigin n. —
In dem vorliegenden Werke lernen wir Rochas von einer neuen Seite
kennen. Das Buch handelt — kurz ausgedrückt vom Einfluss der
hypnotischen Suggestion auf die Gesten. Es ist klar, dass nur
eine 7eit wie die unsere, nur ein Mann, der künstlerisches Empfinden mit
wissenschaftlichem Geist paarte, ein solches Werk schaffen konnte. Der
theoretische Ausgangspunkt für Rochas1 Experimente ist ein sehr einfacher:
Jede Stimmung ist bekanntlich von entsprechenden Geberden begleitet,
die sich im Ausdruck des Gesichts, in der Stellung des Kopfes, des Rumpfes
und der Glieder äussern. Der Somnambulismus hat die Eigenthüm-
lichkeit, die seelischen Vorgänge zu isoliren, sie in ihrer ganzen Intensität,
unvermischt mit anderen Empfindungen zu zeigen. Hat beispielsweise ein
Individuum im normalen Zustand die Empfindung von Furcht, Liebe,
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0067