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90 Psychische 8tudien. XXVIIL Jahrg. 2. Heft. (Februar 1901.)
sondern Miss X. behauptete, dass der Glühkörper verschwand,
und dass sie die von ihr beschriebenen Scenen in Lebens-
grösse vor sich sah, an der Stelle jedoch, wo die Lampe
sich befand. Anfangs untersuchte sie des öfteren die letztere,
um eine Erklärung für die von ihr im Glase gesehenen
Visionen zu finden. Zuerst tauchten nur Erinnerungen an
frühere Gesichtseindrücke auf, später aber auch Scenen,
welche Miss X. unzweifelhaft nur subliminal perzipirt hatte.
Myers berichtet run einige Experimente.
Veruch Nr. 1. X3 erzählt folgende Geschichte: „Sie"
hätte gestern einen Brief von einem Photographen empfangen
und in ihre Tasche zu ihrem Gelde gesteckt. Auf der
Washington-Strasse hätte sie in der Meinung, den Brief in
der Hand zu haben, ihr Geld (zwei zehn Dollarnoten) ergriffen
, zerrissen und weggeworfen. X 3 freute sich sehr über
den Spass, wenn Miss X. ihren Verlust entdecken würde.
Miss X wurde nun aufgeweckt und gefragt, ob sie nicht
Geld besässe und einen Brief von einem Photographen bekommen
hätte. Sie bejahte dies, erklärte aber den Brief
nicht zeigen zu können, da sie ihn auf der Strasse zerrissen
hätte. Als sie nun in die Tasche griff, um das Geld hervorzuziehen
, erschrak sie sichtlich, da sie nur den Brief vorfand
, denn der Verlust war für sie ein grosser. Sie wollte
auch nicht daran glauben, dass sie das Geld wirklich mit
dem Briefe verwechselt hätte, bis Dr. Prince ihr die Glasbirne
gab, in welcher sie denn auch nach kurzer Zeit sich
selbst auf der Washington-Strasse spazieren gehen und die
Banknoten anstatt des Schreibens zerreissen sah. Die Vision
entsprach genau den Angaben von X 3. Diese seltsame
Geschichte kann in der That den Gedanken an eine Besessenheit
aufkommen lassen, doch ist es richtiger, Miss
X. mit einem Wahnsinnigen zu vergleichen, der eine Seite
seines Körpers schlägt, in der Meinung einer Feind vor
sich zu haben.
Versuch Nr. 2. Miss X. erblickt in der Glasbirne ein
Zimmer mit einem Bett, in welchem jemand liegt, der die
Bettdecke wegwirft und aufsteht. Zu ihrem Erstaunen erkennt
sie sich selbst. Sie sieht sich im Zimmer auf und
ab gehen, schliesslich auf das Fensterbrett klettern und von
dort aus auf die Strasse hinuntersehen und ein Tintenfass,
das sie vom Tisch weggenommen hatte, hinunterwerfen.
Es ist Nacht und das Gas brennt in ihrem Zimmer. Dann
sieht sie sich in das Zimmer zurückkehren und wieder auf
und nieder gehen. Die Thür öffnet sich, sie kriecht ins Bett
zurück und liegt ruhig. Miss eine Freundin, erscheint
und legt ihr einen Umschlag auf die Brust. Als Miss L.
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