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100 Psyohiache Studien. XXVI11. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1901.)
wozu? Was ist der allgemeine Endzweck? Welches allgemeine
Bedürfniss deckt er? Da er selbst als „Fundament
der Ethik" das Mitgefühl bezeichnet, dessen Nicht-
Befriedigung Gewissensbisse nach sich ziehen soll, so setzt
er sich damit in Widerspruch mit seiner eigenen Philosophie,
die uns als Endzweck nicht die Befriedigung, sondern die
Verneinung des Willens zum Leben sammt allem
Selbst- und Mitgefühl anempfiehlt Auch der FechnerJ%c\\m
Norm: „Der Mensch soll, so viel an ihm ist, die grösste
Lust, das grösste Glück in die Welt überhaupt zu bringen
suchen, ins Ganze der Zeit und des Baumes" fehlt der
Nachsatz: „wenn er angenehm, glücklich leben will."
Auch Wundt führt als Bedürfnissgrund G e f üh 1 e an:
das erhebende Selbstgefühl, das gemeinnützige Mitgefühl,
die idealen Humauitätsgefühle, denen er einen „Universalwillen
" zur Seite stellt, an welchem das „Gewissen", das
die „Selbstbeurtheilung der Motive" ist, erkennt, dass die
genannten Gefühle sittlich, die anderen minderwerthig sind;
so entstehen dann aus den sittlichen Gefühlen individuelle,
soziale und humane sittliche Grundsätze, denen ebensolche
rechtliche Normen entsprechen sollen. Wenn
man aber dieser scharfsinnigen Spekulation auf den Grund
geht, so findet man als letzten Bedürfnissgrund die „liebe
Eitelkeit," die in gesteigertem Grade Ehrgeiz genannt
wird; überdies weisen weder Zweck noch Bedürfnissgrund
seiner Ethik den Charakter der ausnahmslosen Allgemein-
giltigkeit auf.
Keiner von allen diesen Mängeln haftet der vom Verf.
begründeten naturwissenschaftlichen Ethik an, welche die
erkennbare Tendenz des Weltprozesses zugleich als Z w e c k
des menschlichen Daseins hinstellt und auch die Mittel
nennt, um dieses Endziel am besten zu erreichen. Damit
aber ihr Einfluss ein um so tiefer greifender, alle unsere
gesellschaftlichen Einrichtungen, das ganze soziale Leben
umgestaltender und verbessernder werde, ist vor allem ernstes
Studium und der Ausbau der naturwissenschaftlichen Psychologie
erforderlich. Sie muss die unerschütterliche Grundlage
für die „Geisteswissenschaften", besonders für die sogenannten
praktischen Disziplinen werden, nach denen die
Gesellschaftsordnung, die Erziehung, die Justiz ihre
Ausgestaltung erhält, eine Grundlage, deren Mangel eben
als „metaphysisches Bedürfniss" empfunden wird. —
Es erübrigt uns zum Schlüsse noch die uns ganz besonders
interessirende Frage, was aus uns selbst werden
wird, welchem Schicksale wir mit Naturnothwendigkeit entgegengehen
. Gegenstand unserer objektiven Untersuchung
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