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C. W. Sellin: Scheinwissenschaft und Thatsachen. 145
trance gerathen. Sie legte jetzt ihre Hände auf meine
linke Hand, welche auf dem Briefbogen ruhte, der nicht
einen Augenblick von seiner Stelle entfernt
war. Bald fühlte ich eine Vibration, wie
von Schreibbewegung, und als dieselbe aufhörte —
etwa nach einer Minute —, hob ich den Bogen auf, welcher
auf seiner dem Tische zugekehrten Seite eine die ganze
Seite füllende Mittheilung, mit violettem Kopierstift
geschrieben, enthielt Der Inhalt bezog sich auf
unser Gespräch« Die Seile war also mit direkter Schrift von
unten her beschrieben. —
Zu einer andern Zeit war ich damit beschäftigt, über
die j&öAn'sche Schrift einige erläuternde Notizen zu machen.
Bei der Seite 18 scherzte ich über die bodenlose Unlogik,
mit welcher Bohn aus lauter unbegründeten Daten ein
Schlussresultat zu ziehen sich bemüht, und verglich dies
mit dem Addieren von lauter Nullen zu der Summe einer
Million. Bei dieser Gelegenheit war die mir gegenübersitzende
Frau R. in Trance gerathen, hatte sich vom Tisch
zwei Schritte entfernt, und frei in der erleuchteten Stube
stehend erhielt sie auf der hoch ausgestreckten flachen
rechten Hand einen Topf mit einer schönen blühenden
Hyacinthe. Der Bringer stellte sich mit einigen Worten
als einen vor drei Jahren verstorbenen Chemnitzer Bürger
vor. — Beim weiteren Verlauf meiner Arbeit trat abermals
ein Trancezustand bei Frau R. ein, und diesmal erschien
in den beiden ausgestreckten Händen eine Statue in Elfenbeinmasse
, die Königin Luise vorstellend, von welcher ich
wusste, dass sie ihren Platz in Frau Rothe'b Zimmer gehabt
hatte. Die charakteristischen Worte: „So machen wir esa,
leiteten die kleine Ansprache ein, mit welcher auch dieser
ßringer sich als ein vor einigen Jahren verstorbener Arbeiter
vorstellte. Der Hinweis auf den Gemüthszustand Bohn's,
dessen Schrift ich vor mir liegen hatte, verlieh seinen
Worten noch ein aktuelles Interesse. Ich habe beide
Bringungen bereits in der „Chemnitzer Allgem. Zeitung"
in einer Antwort auf Pastor Riemann'b Zeitungsgeplänkel
mitgetheilt, der natürlich in seiner monotonen Weise nichts
als „Humbug" dazu zu sagen weiss. —
Was nun die beiden Persönlichkeiten der Frau Rothe
und des Herrn Jentsch anlangt, so habe ich Gelegenheit
genug gehabt, mich davon zu überzeugen, dass Beide bisher
in der aufopferungsvollsten Weise für die Sache des Spiritualismus
gearbeitet haben, dem ihr Herz gehört. Von
irgend einem gewinnsüchtigen Motiv, das ihnen Dr. Bohn
anzudichten sucht, kann bei ihnen nicht die Rede sein.
Psychische Stadien* Marz 1901. 10
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