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Kaibel: Gedankenübertragung.
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Gedankenübertragung.
Eine Mahnung zur Vorsicht bei Söancen.
Von Franz Kaibel (München).
Ein hochentwickelter Geist wird stets über Köpfe, die
seinem Fluge nicht oder nur theilweise zu folgen vermögen,
eine Herrschaft ausüben, in Folge deren er sie als seine
Werkzeuge zu benutzen im Stande ist. Bewunderung, instinktives
Unterwerfen bringen andererseits die minder geistig
Begabten dazu, das Talent bezw. Genie auf den Schild zu
erheben. Allerdings giebt es anch Faktoren, welche einer
derartigen Geistesherrschaft hindernd entgegentreten: Neid,
Hass und vor allem jene schöne Eigenschaft, die selbst
Götterkraft erlahmen lässt. Im allgemeinen aber wird der
geistig Begabte Herrscher sein und die unter ihm Stehenden
sich dienstbar machen. Die Folge davon sind Erfindungen,
Entdeckungen, Kulturperioden.
Was im Grossen gilt, das gilt auch im Kleinen. Was
der Menschheit im allgemeinen als Gesetz auferlegt ist, macht
den gleichen Anspruch bei der Vereinigung einzelner
Individuen. Die moderne Seelenlehre zählt Anhänger aus
allen Kreisen» Gelehrte und Laien, Priester, Militärs,
Arbeiter, Bürger, Männer, Frauen sind Rekruten, sind
Kämpfer des neu erstehenden Glaubens, der Religion
der Zukunft, des Spiritismus. Wahr ist es, die
Phänomene, welche dieser Zweig der Wissenschaft — und
das ist der Spiritismus, da hilft kein: Nein, nein! eingepökelter
Gelehrter — uns darbietet, sind so auffallend, so
allem Hergebrachten (im grössten Theil) widersprechend, dass
man nur mit äusserster Skepsis und strengster Prüfung
der Erscheinungen zur Wahrheit gelangen kann. Der
Spiritismus ist eine zarte Pflanze, ein junger Baum, an dem
viel weggeschnitten werden muss, damit er reiche Frucht
bringe. Eine Hauptbedingung für den Erforscher
des Spiritismus ist: — dass er keine Nerven habe.
Die Nervosität, welche in gebildeten Kreisen über Hand
nimmt, ist eine Todfeindin des Spiritismus, weil sie den
Menschen leichtgläubig macht. (Sehr richtig! — Red.)
Und mögen sämmtliche Medien nervöse Personen sein, der
Forscher muss kaltes Blut, klaren Kopf und starke Nerven
haben, sonst wird im entscheidenden Augenblick der Beweis,
den er erstrebt, versagen. Das habe ich nicht einmal, nein,
zehn, zwanzig Mal durchgemacht, weshalb ich nie an den
Spiritismus gehe, mag es nun Experiment, Sitzung mit oder
ohne Medium, ja blosse Lektüre sein, ohne mich vorher
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