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Mauthner: Noch einmal HaeckeFs „Welträthsel". 173
bringt die „Litterarische Rundschau" des „Berl. Tageblatts"
(Nr. 34 vom 19. Januar er.) unter obiger Ueberschrift aus
Anlass einer Anzeige der neuesten Gegenschrift von Dr. Erich
Adickes: „Kant contra Haeckel, Erkenntnisstheorie gegen
naturwissenschaftlichen Dogmatismus." Berlin, Verlag von
Reuther und Reichard. — Dieselbe lautet: Das Erscheinen
einer vornehm und klar geschriebenen Schrift gegen Haeckel}8
Welträthselbuch giebt willkommene Gelegenheit, auf den
Streit zurückzukommen, in welchem schon eine stattliche
Zahl deutscher Gelehrter und auch Denker gegen das neue
Päpstlein von Jena steht. Dieser Streit ist, so unangenehm
die Bezeichnung den blinden Verehrern Haeckel's in den
Ohren klingen mag, ein Streit der Bildung gegen die Halbbildung
, ein Streit des ernstesten Denkens gegen einen
verdienstvollen und tapferen Mann, der sich nur zu seinem
Unglück auf das Gebiet der Philosophie verirrt hat. In einem
Aufsatze gegen Heinrich Schmidt, den Adjutanten Haeckel's,
habe ich es schon zu sagen versucht, dass der deutsche
Dogmatiker des Darwinismus eine prachtvolle Erscheinung
war, so lange er sich die Aufgabe stellte, die Hypothese
des vorsichtigen Darwin mit kühnen Umrisszeichnungen in
ein grosses System zu bringen, dass Haeckel's stürmisches
Vordringen gegen die Dunkelmänner den Dank aller freien
Köpfe verdient. Immer war es freilich bedenklich, dass
Haeckel den grundlegenden Gedanken der neuen Physik zu
wenig beherzigt, Kirchhofs einschneidendes Wort, dass alles
Naturerkennen nur Beschreiben und nicht Erklären sei. Es
gab immer einen starken Haeckel, der beschrieb, und einen
schwachen, der erklären wollte. Ganz schwach ist Haeckel
in seinem Welträthselbuche, weil er da alles wissen und
erklären möchte, Alles und einiges Andere dazu: die Entstehung
der Welt und des Bewusstseins, die Zukunft der
Religion, der Schule und so weiter.
Das Welträthselbuch, dessen philosophischer Theil
eigentlich Dilettantenarbeit ist, hätte kaum so viele Gegenschriften
hervorgerufen, wenn sein ungeheurer Erfolg die
Feinde der Halbbildung nicht aufgeschreckt hätte. Diesen
Erfolg leitet Erich Adickes davon her, dass Haeckel's Buch
den Zeitströmungen bequem entgegenkommt. Einerseits die
bekannte Ueberschätzung der Naturwissenschaft, von welcher
man ein neues goldenes Zeitalter erwartet, andererseits eine
gewisse philosophische Sehnsucht, welche endlich über den
Berg von Einzelbeobachtungen hinüberkommen möchte, finden
ihre Rechnung in einem Werke, das mit naturwissenschaftlicher
Methodik die urältesten Fragen der Menschheit zu
lösen vorgiebt. Wenn die Religionen aus dem metaphysischen
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