http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0204
Wernekke: Gustav Theodor Fechner. 195
Gesundheit ernstlich gefährdet wurde. Schon seine philosophischen
Grübeleien hatten seinen Kopf so angestrengt,
dass seine Gedankengänge ihn gegen seinen Willen unausgesetzt
verfolgten. Nach Antritt der Professur wurde sein
Gesammtbefinden namentlich durch Schlaflosigkeit gestört.
Als er, um den Kopf zu schonen, sich mehr mit physikalischen
Beobachtungen als mit philosophischen Dingen beschäftigte,
führte die Ueberanstrengung der Augen, namentlich in Folge
lang andauernder Versuche mit dem Galvanometer, zu einem
manchmal fast unerträglich gesteigerten Leiden. Die Augen
wurden lichtscheu und unfähig zum Lesen und Schreiben;
er konnte nur mit verbundenen Augen ausgehen. Aerztliche
Hilfe war erfolglos; als ihm im Winter 1841 Brenncylinder
auf den Bücken gesetzt wurden, hatte dieser gewaltthätige
Eingriff in den Organismus die nahezu völlige Aufhebung
der Verdauung zur Folge, und er brachte mehrere Wochen
fast ohne Speise und Trank zu. Eines Tages brachte ihm
eine mit der Familie entfernt bekannte Dame ein von ihr
zubereitetes Gericht (stark gewürzter gewiegter Schinken,
mit Roth wein angefeuchtet): ihr hatte geträumt, dass sie
diese Speise für Fechner bereite, und sie hatte dem Traume
nachgegeben. Er nahm sie mit Misstrauen, aber sie bekam
ihm, die Verdauung wurde besser, und allmählich stellten
sich die Kräfte wieder ein. Die Schwäche des Kopfes und
das schwere Augenübel aber hielten noch an. Im Herbst
1843 trat unerwartet eine Wendung zum Besseren ein; er
konnte bei Sonnenschein im Freien sein, Abends bei vollem
Lampenschein sitzen, sich nun auch mit Freunden unterhalten
und im nächsten Frühjahr endlich wieder arbeiten.
Eine kleine Sammlung von Gedichten und ein Räthselbüchlein
— wiederum unter dem Namen Dr. Mise* — waren in den
Stunden der Erleichterung während dieser Leidensjahre entstanden
. 184G erschien eine philosophische Schrift, zur Grundlegung
der Ethik: „üeber das höchste Gut", 1848: nNanna9
oder über das Seelenleben der Pflanzen", 1851 sein philosophisches
Hauptwerk: „Zendavesta, über die Dinge des
Himmels und des Jenseits." Die darin entwickelte Ansicht,
durch frühere Schriften vorbereitet, durch spätere in einzelnen
Punkten ausgebaut, hat Fechner volle 26 Jahre später in
mehr gedrängter, aber auch etwas schwieriger aufzunehmender
Fassung noch einmal dargestellt als die „Tagesansicht
gegenüber der Nachtansicht." Wenn danach die Begründung
einer Weltanschauung, in der Wissen und Glauben zugleich
ihre Rechnung finden, nach zeitlicher Ausdehnung und innerer
Bedeutung den Haupttheii seiner Lebensarbeit bildete, so
darf man doch mit dem Jahre 18515 einen neuen Lebens-
13*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0204