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Boruaann: Vorausschauen und Wahrsagen etc. 209
Schiffes. Viele Menschen gehen beim Untergange desselben
zu Grunde. Ich sehe sie deutlich verzweifelt mit den
Wellen kämpfen. Alles deutsche Matrosen. Es ist
bestimmt ein Kriegsschiff. Ich sehe den Kommandanten,
wie er seine Hände zum Himmel hochstreckt. Er schreit
noch seine letzten Befehle. Er trägt einen Bart, wie ihn
Kaiser Friedrich trug, nur kürzer und ziemlich dunkel, fast
schwarz. — Das Wasser ist fast ganz ruhig geworden. —
Ich sehe auch, dass es in fremdem Lande ist--Naht
denn keine Rettung? — Noch nicht, — ein Schiff in Sicht.
Hurrah! Und doch, es ist wenig Aussicht auf Rettung.
— Und naht denn keine Hilfe? — Ja, ja; aber viel zu
spät! — „Nach dem Sturme fahren wir sicher durch die
Wellen, Lassen, grosser Schöpfer, Dir, unser Lob erschallen
." —
Von solchem Voraussehen von Massenunglücken
bin ich in der Lage ein mir jüngst bekannt gewordenes
Beispiel neuesten Datums zu berichten. Ein mir befreundeter
Gelehrter, dessen Angaben die höchste Zuverlässigkeit besitzen
, schreibt aus Heidelberg am 17. Oktober 1900: „Ein
merkwürdiges Beispiel von Vorausahnung kommender
Ereignisse muss ich Ihnen berichten. Unsere Freundin, die
Sie kennen, hatte am Freitag, 5. Oktober frühmorgens, in
halbwachem Zustande die dumpfe, immer wiederkehrende
Empfindung, es seien ihr bei einem Eisenbahnunglück
die beiden Beine abgefahren; sie sah neben sich
beständig ein grosses schwarzes Thor und es war
Sonntag. Am Samstag erzählte uns das Fräulein — m~~
von jener beängstigenden Vorstellung und berichtete uns
auch, dass sie in Folge davon die Einladung einer Freundin,
mit der Bergbahn zum Schloss zu fahren, abgelehnt habe.
Zwei Tage nach jenem Gesicht, am Sonntag 7. Oktober,
ereignete sich das furchtbareünglück in der Nähe der
Station Karlsthor, bei dem mehreren Menschen beide
Beine abgefahren wurden. Dicht neben der Unglücksstätte
ist ein grosses dunkles zu einer Fabrik gehöriges
Thor, in das man die Todten und Schwerverwundeten zunächst
hineintrug/1 — Als ich dann noch Anfragen stellte, woher
die Dame aus ihrem Gesicht sich entnahm, dass Sonntag
sei, gab sie selbst noch die folgenden Aufschlüsse: „Für den
Sonntag hatte ich keine anschaulichen Vorstellungen;
es war nur einfach in meinem ßewusstsein Sonntag. Das
Erste war die Empfindung einer drohenden schweren Unheilswolke
, bis allmählich das Bild des grossen schwarzen
Thores sichtbnr wurde; dann erst kam das Gefühl der
abgequetschten Beine."
Psychische Studien. April 1901. 14
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