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Walther: Ueber die psychische Kraft des Weibes. 233
sind ja keine Gegensätze. Sinnliches kann sich in Seelisches
verwandeln, wie sich dieses in jenes verwandeln nauss. Aber,
so wird man billig fragen, ist nicht gerade die Idee das
eigenste Eigenthum des Mannes? Ist nicht gerade sie seine
Macht, seine Höhe? Das mag den Unbefangenen im ersten
Augenblick so erscheinen, weil jene weiblichen Männer, die
Künstler, ganz im Reiche der Idee leben. Aber wer näher
hinblickt, wird sich sagen müssen, dass die männliche
Seelenkraft, die Rezeption, die sich in der eigentlichen
Wissenschaft, die ja durchaus nicht Forschung bedeutet,
bethätigt, dass diese männliche Kraft nie und nimmer die
Idee hervorbringen kann. Die Hochschule ist keine Zuchtstätte
für Genies; sie lehrt keinem, wie man Ideen schafft,
wenn diese nicht die Seelenkräfte in seinem Inneren hervorzaubern
. Die männliche Kraft muss sich mit der weiblichen
innig vermählen, vvenn das Götterkind, das wir Idee getauft
haben, geboren werden soll. Diese Vereinigung aber findet
sowohl bei dem Menschen, der geschlechtlich Mann ist, statt,
als bei demjenigen, der geschlechtlich Weib ist. Ja, man
kann getrost behaupten, dass die höchsten Vertreter dieses
geschlechtlichen Weibes die ideenkräftigsten Menschen sind.
Das mag allerdings kurios klingen im Gegensatze zu
der Behauptung vom physiologischen Schwachsinn des Weibes;
aber wer einmal Gelegenheit hatte, mit solchen Frauen zu
verkehren, der wird wissen, mit welcher Schnelligkeit sie
überblicken können und die neue Idee aus dem Alten heraus
zu finden wissen. Ein solches Weib braucht natürlich
durchaus nicht immer aus den höheren Kreisen zu stammen;
sie braucht auch nicht studirt zu haben, ja es ist sogar
besser, wenn sie nichts davon weiss, denn es ist ja bekannt,
mit welcher Langsamkeit sich die echten wissenschaftlichen
Männer in das Neue finden, die selbstständigen Forscher
selbstverständlich ausgenommen.
Wie oft begegnet man im Leben nicht der Situation,
dass der Mann nicht weiss, wie er irgend eine Sache anfassen
soll. Da ist die Frau gleich bei der Hand: „Wenn
Du es nun so oder so machtest?" „Ja, Du hast Recht,
erwidert noch sinnend der Mann." Er thut, wie ihm die
Frau in der Idee angab, es gelingt, aber er hütet sich in
den meisten Fällen wohl sehr, zu verrathen, dass ihm das
seine Frau angedeutet oder gesagt habe. Bismarck war
ehrlich, indem er von seiner Gattin bekannte: „Was wäre
ich ohne diese Fra u !u 0 dass es ihm doch mancher gleich
thäte I Ursache zu diesem Bekenntnisse hätten gewiss viele,
ohne dadurch der Lüge einen Dienst zu erweisen.
Manche Idee, welche die Welt als das Eigenthum eines
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