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234 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 4. Heft. (April 1901.)
geistreichen Man aes anstaunt, hat ihren Ursprung am traulichen
Herde der Familie, wo sie die Grattin so obenhin
äusserte. Man könnte allerdings sagen, dass das Weib
hierin einen gewissen natürlichen Instinkt besitze, nämlich
eben die oft unbewusst wirkende, geheimnissvolle Produktionskraft
. Dieses Vermögen mit dem tbierischen Instinkt auf
eine Stufe zu stellen, bringt aber nur der Mann fertig, dem
die grauen Theorien der Wissenschaft den freien Blick hindern.
Die Wissenschaft im engeren Sinne wird allerdings von
den Weibern keine Bereicherung erfahren. Das wäre auch
entsetzlich; denn der Mann kennt schon vor lauter Gelehrsamkeit
seinen eignen Vater nicht mehr, um mit Goethe zu
reden. Es wäre traurig um jeden Fortschritt bestellt, wenn
nur die Männer über seine Gültigkeit zu entscheiden hätten.
Diese Wahrheit wird namentlich jeder Künstler an sich
erfahren. Es ist kein Zufall, dass wir in Konzerten, Theatern
und anderen künstlerischen Vorführungen das weibliche
Element vorherrschend vertreten finden. Die männlichen
Kritiker erzählen uns wohl, wie man seiner Zeit dieses und
jenes Genie verkannt habe; aber sobald em neues Genie an
sie herantritt, erkennen sie es ebensowenig, als seiner Zeit
diejenigen, über die sie sich entrüsten. Unter der warmen
Begeisterung des Weibes wird ein Genie gross, die rezipirende
Kälte des Mannes aber tödtet es. Man darf hier nicht
einwenden, was man Schopenhauer so gern nachspricht,
nämlich dass die Weiber in Konzerten zum Beispiel bei
den schönsten Stellen theilnahmlos bleiben und ungenirt ein
inhaltloses Gespräch beginnen. Denn erstens fragt sich's
allerdings sehr, ob dem Weibe gefällt, was ein solcher Mann
für schön findet; und dann kann man überzeugt sein, dass
diese Weiber nicht den besseren geistigen Typus ihrer
Gattung darstellen; ja zuletzt möge man sich auch vergegenwärtigen
, wie stupid und interesselos oft viele Männer
an einem Kunstwerke erstens Rangs vorübergehen. Wenn
man weiss, dass studirte Männer Goethe's herrliche Worte:
„Seele des Menschen wie gleichst du dem Wasser, Schicksal
des Menschen wie gleichst du dem Wind" bespöttelt haben,
weil sie nicht wussten, woher sie stammten, und erst dann
wieder Respekt davor zeigten, als ihnen der Ursprung zum
Bewusstsein gebracht worden war, dann wird man miss-
trauischer gegenüber den „geistvollen" Männern.
Man darf doch bei Besprechung solcher Angelegenheiten
männliche Talente nicht den niedrigsten geistigen Typen des
weiblichen Geschlechtes gegenüber stellen. Man sagt freilich:
„der weibbehe Schwachsinn ist nicht nur vorhanden, sondern
auch nothwendig. Wollen wir ein Weib, das ganz seinen
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