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236 Psyehisohe Studien. XXVIII. Jahrg. 4. Heft. (April 1901.)
so mannigfaltig, als es verschiedene Menschen giebt, und man
kann wohl nur ähnliche als bestimmte Typen bezeichnen.
Dass beim Weibe die weibliche Seelenkraft vorherrschen
wird wie beim Manne die männliche, ist gewiss einleuchtend;
aber unerklärlich ist, wie „wissenschaftliche" Männer dieses
Verhältniss beim Weibe als „physiologischen Schwachsinn"
bezeichnen können; dann könnte man in diesem Sinne auch
von einem seelischen Unvermögen des Mannes reden. Somit
würden alle die ungünstigen Urtheile« die man über das
Weib verbreitet hat, in dch zusammenlallen. Klatschsucht,
Zanksucht, List, Lügenhaftigkeit, Eifersucht, Eitelkeit u. s. w.
sind dem Manne ebenso eigenthümiich wie dem Weibe, es
sind eben menschliche Schwächen, gegen die jeder seine
ganze sittliche Kraft aufbieten soll.*)
Erinnern wir uns nun noch einmal an die Fragen, die
den Streitpunkt in dieser Sache bilden: 1) Ist das Weib
dem Manne an Geisteskraft gleich? Diese wichtigste aller
Fragen darf in dieser allgemeinen Form überhaupt nicht
gestellt werden. Es giebt Weiber, die an Geist uuter einem
Manne stehen, neben solchen, die ihm darin gleich, ja sogar
überlegen sein können; es kommt ganz darauf an, welchen
Geistestypus sie bezeichnen. 2) Ist das Weib zum höheren
Studium zuzulassen? Gewiss, denn es kann dabei immer noch
eine gute Mutter und eine trefflichö Hausfrau sein, ja es
wäre eine schlechte Empfehlung für die Wissenschaft, wenn
sich die für das praktische Leben nöthige Thätigkeit nicht
mit ihr vereinen Hesse. Frisches Blut würde aber dem alten
„wissenschaftlichen Körper" nichts schaden, denn es ist an
manchen Stellen recht dick und dem Eintrocknen nahe.
Ueber die Vererbung des Genies und einige andere
Fragen möchte ich später einmal reden.
In eigener Sache.
Von Prof. a. D. C. Uir. {Sellin.
Es ist allemal eine unangenehme und peinliche Aufgabe
, den Leser über unsere eigene Person unterhalten zu
müssen, namentlich in einer Situation, in welcher die durch
die gute Sitte gebotene Discretion es unmöglich macht, die
zur Bildung eines billigen Urtheils nöthigen Daten mit vorzulegen
. Ich kann indess die Bemerkungen der Red. der
*) Dass diese Fehler beim Weibe vielfach stärker hervortreten als beim
Manne, erklärt sich eben aus ihrer falschen Erziehung, bezw. aus der Unterdrückung
ihrer Selbstständigkeit und dem Mangel an einem für ihre Begabung
passenden Wirkungskreis. — Red,
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