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Bormann: Vorausschauen und Wahrsagen etc. 259
und Leichenbegängnisse vor dem Eintreten von Todesfällen,
und eine solche erst eben gegebene Probe ihrer Gabe
konnte ich mir bezeugen lassen. Sie sagte nämlich einem
Nachbar, Herrn Fabrikanten B.f dass sie aus seinem Hause
eine Leiche heraustragen sehe. Es war niemand krank in
seiner Familie; nach zwei Wochen aber erkrankte an Blinddarmentzündung
sein Bruder, ein blühender und kräftiger
junger Mann, wurde operirt und verstarb nach wenigen
Tagen. Die Richtigkeit der Thatsache habe ich mir von
Herrn B. selbst bestätigen lassen. Wie mir dann die Seherin
berichtete, hat es sich zugetragen, dass sie hier in München
das Leichenbegängniss ihrer Freundin in der fränkischen
Heimath mit dem genauen Anblick aller Träger erblickte.
Weil schon mehrere Male durch solche schreckhaften Gesichte
ihre bevorstehende Niederkunft vereitelt worden war,
verheimlichte man ihr den dann wirklich vorgefallenen Tod
jener Freundin mit aller Kunst und List, bis plötzlich ein
Backet aus der Heimath von einer Tante kam und der einliegende
Brief das Vorgesicht bewahrheitete. Für die Geburt
trat die gleiche üble Folge ein. Auch bei diesen gewöhnlich
Nachts im Schlafe sich einstellenden Gesichten
blickt die Frau, wie sie mir nach dem Zeugnisse anderer
berichtete, mit offenen, weit aufgerissenen Augen in's Leere.
Auch minder Bedeutendes, wie unerwarteten Besuch, für
den sie dann schon zuvor das Zimmer richtet, sieht sie
voraus. —
Einen ferneren selbsterleb ten Fall des zeitlichen
Fernsehens stellt ein mir wohlbekannter
Herr so dar:
„Mitte November d. J. wandte ich mich an einen mir
persönlich unbekannten Herrn in einer geschäftlichen Angelegenheit
, auf deren Ausgang ich sehr gespannt war und
welche mich also geistig stark beschäftigte* Einige Tage
darauf erlebte ich Folgendes: In der Nacht vom 26. zum
27. November sah ich im Halbschlaf einen Brief eines
mit oben genanntem Herrn in gleicher Stadt wohnhaften
Verwandten, der mir mittheilte, dass jener Herr in der
Sache nichts zu thun vermöge. Am nächsten Nachmittage
erzählte ich im Freundeskreise diesen Traum, über den ich
besonders erstaunt war, weil ich von meinem Verwandten
keinerlei Mittheilung in dieser Angelegenheit erwarten
konnte. Am 29. November, also am nächsten Morgen nach
der Erzählung und am zweiten Tage nach dem Traum, erhielt
ich um 11 Uhr tbatsächlich den vorausgesehenen
Brief meines Verwandten (datirt vom 28. November), in
welchem er mir mittheilt, die Ausführung der Angelegen-
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