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A. S.: Geheimnissvolle Kunst«
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sie gebrauchen zu ihrer Vollendung nur einen Zeitraum von
5, 10 bis 20 Minuten, Desmoulin zeigte mir seine als „normaler
" Mensch ausgeführten Malereien, die sauber, accurat
bearbeitet auch nicht die leiseste Aehnlichkeit mit jener
genialen, wilden Strichführung haben, die sein zweites Ich
in hexenhafter Geschwindigkeit hervorzaubert. Mehr noch:
er führt diese „spiritistischen" Zeichnungen entweder im
Halbdunkel oder bei vollkommener Finsterniss aus. Er
„portraitirte" letzthin eine Frau, die hinter ihm stand
und das in einigen Minuten fertige Bild war sprechend
ähnlich. Mme. Catulle Mendes, die dieser Kuriosität beiwohnte
, konstatirt die Thatsache. So schaffen tagtäglich
in dem Künstler zwei ganz konträr veranlagte Wesen, Bis
zur Dämmerstunde arbeitet der für uns Alle sichtbare
Maler und Graveur ungestört und unbeirrt an den Werken,
die wir von ihm kennen, fleissig, gewissenhaft und minutiös.
Nachdem Desmoulin I sein Tageswerk vollendet, setzt er
sich an seinem grossen Tisch bequem in einen grossen
Fauteuil, sein „Handwerkszeug", aus drei Stiften bestehend,
neben ihm, stützt seinen Kopf leicht auf die linke Hand,
deren zwei Finger die xlugen schliessen, und Desmoulin II
löst den ersten ab. Nach kaum einer Minute beginnen die
krampfhaften Zuckungen und phantastische Köpfe, Portraits
und Landschaften entstehen, die der willenlose Vollbringer
in höchster Ueberraschung selbst bewundert. Ist er sonst
der bescheidenste Künstler seinen bei Tageslicht entstander en
Arbeiten gegenüber, so bestaunt er naiv, was er ohne das
geringste eigne Zuthun geschaffen. Hunderte von bunten
Zeichnungen, die wie Pastellbilder wirken, stehen im weissen
Eahmen in seinem Atelier zur Schau gestellt, und die Begeisterung
, die sich im kleinen privaten Kreise kundgab,
wird sich vertausendfachen, wenn der Pilgerzug der Menge
in die öffentliche Ausstellung beginnen wird. Bei den Köpfen
herrscht vorwiegend das phantastisch Verschwommene, von
einer Zartheit der Farbengebung und einer gleichzeitig
unfehlbaren Sicherheit der Zeichnung, wie sie unter den
Künstlern nicht allzu häufig ist. Wundervoll sind auch
verschiedene märchenhaft symbolische Fächermotive in
ganz neuen, nie gesehenen Tönen; und ich bin überzeugt,
dass diese Modelle der Fächerindustrie einen neuen Zweig
erschliessen, dass die Originale vervielfältigt werden und die
elegante „Mondaine" als „dernier cri du chic" einen Fächer
nach Desmoulin'scher spiritistischer Zeichnung tragen wird.
Von grosser Wirkung, zwingender Stimmung sind die
Landschaften. In der Koloristik eine Kombination
von L. v. Hofmann und Walter Leistikorvy in der Naturtreue
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