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Psychische Studien.
Monatliche Zeitschrift,
vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene
des Seelenlebens gewidmet.
28. Jahrg. Monat Juni 1901.
L Abtheilung.
Historisches und Experimentelles,
Vorausschauen und Wahrsagen, Freiheit und Schicksal.
Von Dr. Walter Bormann.
(Fortsetzung von Seite 265)
IL
Ich habe nun noch von selbsterlebten Weissagungen
zu sprechen, die mir namentlich im Laufe der
letzten Jahre durch zwei Münchener Seherinnen, Fräulein
R. und Fräulein E., zu Theil wurden. Das Unterrichtendste
war für mich hier die durchaus verschiedenartige Weise,
in der die Gesichte zu Stande kamen bei der Verschiedenheit
der Gemüthsanlagen und Temperamente. Was beiden
Damen gemeinsam, ist ein hoher Grad von Aufrichtigkeit,
der sich stets auf das Erfreulichste zu erkennen gab und
so viel wie nur möglich Fälschungen des astralen Blickes
durch die autosuggestive Phantasie zurückhielt. Fräulein R.}
die, wenn sich ihr inneres Schauen aufthut, das durch jenen
eigentümlich stechenden Blick den Somnambulen verräth,
der auch bei Frau Hauffe gefunden wurde, liebt dann eine
theil weise, doch nicht völlige Verdunkelung des Zimmers,
kommt bei halbgeschlossenen Augen in Halbschlaf und
reicht dabei gern dem, in dessen Lebensschicksale sie eindringen
will, die Hand oder zieht auch seine Hand an ihre
Stirn oder wie horchend an ihr Ohr. Es erschliesst sich
ihr alsdann ein wunderbar helles Geisterschauen, von dem
es mitunter fraglich, ob man mit spiritistischer Auffassung
die Gesichte als Gegenwart oder als somnambule Rückschau
auf vergangenes Erdenleben betrachten solle. So bestimmt
und treu ist ihr Schildern, dass man die beschriebenen
Psyohisohe Studien, Juni 1901. 21
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