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322 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1901.)
Personen mühelos oft sofort wieder erkennt. Zugleich finden
wir in Vorgängen, die sie angiebt, und in Aussprüchen jener
Personen Wohlbekanntes, Vertrautestes, Verborgenstes aus
unseren Erlebnissen wieder. Beim heutigen Thema darf ich
darauf nicht im Besonderen eingehen und habe vielleicht
später Anla^s, davon gründlicher zu handeln. Leider betreffen
die Wahrsagungen des Künftigen bei Fräulein R.
wie bei Fräulein E. meist zu intim Persönliches, als dass
ich sie der OeffentUchkeit übergeben könnte. Nur etliche
Fälle, bei denen es sich um Geringfügigeres handelte, die
aber doch schlagende Beispiele liefern, seien erwähnt.
Fräulein E. sagte mir beim ersten Male, als ich mit ihr
zusammentraf, dass eine Festschrift ai\ mich abgehe. Mir
schien das wenig glaubwürdig, da man ja solche Sendungen
nicht oft erhält und es mir damals ganz dunkel war, woher
ich dergleichen bekommen sollte. Anderen Tages aber
brachte mir der Briefträger um 11 Uhr Vormittags die zum
50jährigen Bestehen der Firma Costenoble (Jena) herausgegebene
schön ausgestattete Festschrift. — Ein anderes Mal
sagte mir Fräulein E., dass ich Unannehmlichkeit zu
gewärtigen habe, weil jemand krank werde. Anderen Tages
bekam meine Wirthschafterin ein Telegramm, dass ihr
Bruder Lungenentzündung habe, und ich entliess sie für
zwei Tage in ihre Heimath, wodurch ich ohne Bedienung
war. Fräulein R. kündigte mir einen Brief aus weiter Ferne
an, der meine Arbeiten angehe; kurz darauf kam ein Brief
aus Petersburg, der die Weissagungen Rob. Laing's betraf.
Fräulein E. übt auch viel das Krystallschauen und zwar
mit bestem Erfolge; doch kann sie statt des Krystalles auch
jeden glänzenden Metallspiegel und Aehnliches benutzen, so
dass es fraglich, ob dort ausser dem glänzenden Gegenstand
noch ein besonderer odischer Einfluss des Krystalles wirke,
wie man das ja gemeint hat. Allerdings ist es vorgekommen,
dass Fräulein E., indem sie in den Krvstali schaute, höchst
zutreffend meine'„ur gedachten, m,ausgesprochenen Fragen
über ihr vollständig unbekannte und entlegene Dinge beantwortete
. Während Fräulein R. mehr in weitere Fernen
von Vergangenheit oder Zukunft blickt, sieht Fräulein E.
hauptsächlich das uns zunächst Bevorstehende und zwar
meist nicht als unmittelbar angeschautes Lebensbild, sondern
unter einer Geheimschrift typischer Sinnbilder, welche ihr
selbst erst allmählich durch die Erfahrung verständlich
wurde. Ein Stern, ein vierblätteriges Kleeblatt, das
Münchener Kindel, eine Klosterfrau, ein Kreuz, König
Ludwig //., die schmerzhafte Mutter Gottes u. a. sind
Zeichen dieser Geheimschrift, deren Bedeutung sich durch
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