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326 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1901.)
physiopsyehiselien Existenz, d. h. die Einheit des Organisirens
und Denkens, ein uns unbewusst Bewusstes unserer höheren
s
Wesenheit nach Daumer und du Prel gesetzt, dann würde
mit dem geistigen Leben auch jede leibliehe Punktion des
Lebens und Sterbens in uns unserer Selbstverordnung unterliegen
. Der Pfnrrer Max Gubalke hat nicht lange vor seinem
Tode in den „Psych. Stud.a einen Aulsatz über den Selbstmord
veröffentlicht, in dem er ganz richtig es als einen
Irrthum du Prel's nachweist, dass er den Selbstmord als
eine Auflehnung gegen die Selbstverordnung des trans-
scendentalen Subjektes hinstellen will, während es doch
unbestreitbar ist, dass, wenn einmal unsere ganze
Lebensbahn mit allen Schicksalen als Selbstverordnung
gilt, dann auch der Selbstmord in
dieselbe eingeschlossen sein müsse. Gubalke beschäftigte die
Frage tiefer und er hat auch noch am 2. Juni einen Brief an
mich geschrieben mit der Bitte, dass entweder ich oder ein
anderes Mitglied der Münch. „Ges. f. wiss. Psych." sich über die
Frage äussern möge. Er sagt da: „Veranlasst wurden meine
Gedanken über diese Materie durch einen Vortrag, der an
Verschwommenheit das Möglichste leistete, jedenfalls aber
mir zu einer Wahrheit verholfen hat, nachdem ich die
du Preschen Auslassungen, denen ich früher beigestimmt,
einer Revision unterworfen hatte. Es kann ja gar nicht
ausbleiben, dass unsere phänomenalen Begriffe und Vorstellungen
durch die Transscendentalpsychologie noch m
viel weiterem Umfange eine ümschmelzung und Umwerthung
erfahren werden, und ich zaudere nicht, von der Freiheit
persönlicher Ueberzeugung und Aussprache Gebrauch zu
machen, selbst wenn ich vereinzelt bleiben sollte." So unweigerlich
man Gubalke in jenen Klarstellungen gegen
du Prel Recht zu geben hat, bei dem, wie bei jedem Sterblichen
, trotz allem Aufschwünge zum Transscendenten sich
hier einmal seine phänomenale Befangenheit geltend macht,
so wenig kann man ihm beipflichten, wenn er, selbst nun
wieder einer phänomenalen Kurzsichtigkeit verfallend, eine
ümschmelzung und Umwerthung unserer ethischen Begriffe
insofern zu erwarten scheint, als mit der Annahme der
Selbstverordnung beim Selbstmord nun auch jedwede
menschliche Verantwortung und bezw. Schuld auszuschliessen
sei. Von allem Verwerflichen: Betrug, Diebstahl,
Falschmünzen, Ehebruch, Mord u. s. w., was sämmtlich als
Bestandtheil unseres Lebensganges nach dem Kausalitätsgesetz
doch auch unverbrüchliche Nothwendigkeit und
nach jener okkultistischen Anschauung Selbstverordnung
ist, könnte aber der Selbstmord unbedingt keine Aus-
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