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Gubalke: EeYncarnation.
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Sinne annehme, dass die Seelen nach dem Tode entweder
in das Paradies oder in das Fegefeuer oder auch in die
Hölle übergehen, damit aber gleichwohl die philosophische
Lehre für vereinbar halte, dass die Seele in demselben Sinne,
in welchem Plato das gelehrt habe, sich wieder verleiblichen
könne; wenigstens sei diese Annahme, wenn nicht erweisbar,
so doch wahrscheinlich. — Im VI. Buche seiner Aeneide
stellt der Dichter Vergil, durch den Mund des alten Anchises,
seinen Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und die
Metempsyehose dar, d. i. also im exoterischen, py thagoräisch-
platonischen Sinne:
„Diese, nachdem sie den Kreis durch tausend Jahre gerollet,
Ruft zum lethäischen Fluss ein Gott im grossen Gewimmel,
Dass sie erinnerungslos die obere Wölbung des Aethers
Wieder schau'n und willig in andere Leiber zurückgehen."
Von unseren jüngeren Geistesheroen führe ich ausser dem
schon erwähnten Lessing vor allem Goethe und Schopenhauer
an. In Goethe's Gesprächen mit Eckermann, III, 170 findet
sich die Bemerkung: „Hat ein Mensch seine Sendung vollbracht
, so ist er auf Erden in dieser Gestalt nicht weiter
von Nöthen und die Vorsehung verwendet ihn wieder zu
etwas Anderem." Ausführlicher spricht sich Goethe im West-
östl. Divan in dem Gedicht „Selige Sehnsucht" aus:
„Sagt es Niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet,
Das Lebend'ge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.
In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Ueberfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.
Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsterniss Bebchattung,
Und dich reisset neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.
Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du, Schmetterling, verbrannt.
Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und Werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde/
Selbst Schopenhauer, obwohl sein philosophisches System
in der Individuation in der Erscheinung stecken, aber auf
das Individuum beschränkt blieb, mussbekennen: „Der Mythos
von der Seelenwanderung ist so sehr der gehaltreichste,
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