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374 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1901.)
schafiliehe Porseber eigentlich ein Künstler ist, der nicht
blos mit kühler Ueberlegung nüchterne Folgerungen zieht,
sondern auch gar nicht selten dem lahmen Klepper des
matten Alltagsgedankens die Sporen in die Weichen bohrt
und mit ihm forteilt in ungemessene Fernen. Eine jede
wirklich grosse wissenschaftliche Leistung war seit jeher eine
That der Phantasie. Aber die Richtung der wissenschaftlichen
Phantasie kann ferner eine sehr verschiedene sein
und Kekul$$> Phantasiebild führt uns sehr charakteristisch
in die geistige Werkstätte des Chemikers ein! So dachten
sie alle, die grossen Neubegründer der Chemie im neunzehnten
Jahrhundert, in räumlichen oder ebenen Anordnungen,
Strukturbildern, Konfigurationen u. s. w., während zum
Beispiel ein Faraday, der als hervorragender Vertreter der
physikalischen Phantasierichtung genommen werden kann,
immer nur in Kraftlinien, Zwangsrichtungen, Druckströmungen
u. s. w. wirkte! Es kann hier leider nicht des
näheren darauf eingegangen werden, wie sich jetzt mehr und
mehr die Ueberzeugung Bahn bricht, dass diese ganze zwiespältige
Theilung der exakten Naturwissenschaften vielmehr
der verschiedenen Phantasierichtung ihrer Begründer als
wirklich zwingenden objektiven Unterschieden zuzuschreiben
ist. Eine neue junge Wissenschaft, die physikalische
Chemie, ist erstanden und will die zerstreuten Bergleute,
die mit der Wünschelruthe ihrer Phantasie in dem Schacht
der Erkenntniss nach Schätzen fahnden, vereinigen und —
sehen, hören, wie bei Tunnelbauten die wissenschaftlichen
Arbeiter auf der einen Seite des Felsens die rüstigen
Hammerschläge der anderen Genossen!
Als eines der wichtigsten wissenschaftlichen Bindeglieder
sind an diesem Grenzgebiet zweifellos die neuerdings
entdeckten merkwürdigen Strahlungserscheinungen
bei gewissen chemischen Substanzen anzusehen. Seitdem der
neue Asmodi*) Röpfgen unseren Blick für die Betrachtung der
Aussendinge im buchstäblichen Sinne des Wortes „vertieft"
hat, ist das Gebiet der Strahlungserscheinungen wieder zum
Vorwurf unablässiger Forschungen geworden. Schon seit
einigen Jahren ist den Fachleuten bekannt, dass vom Uranerz
eine eigentümliche Art von unsichtbaren Strahlen ausgeht,
welche analog den Äd'n^w-Strahlen durchfundurchsichtige
Gegenstände die photographische Platte beeinflusst. Man
braucht nur auf eine in undurchsichtiges Papier gewickelte
lichtempfindliche Platte ein Quantum Uranerz zu legen
Asmodi, talmudisch Aschmedai, ein böser, wollüstiger Dämon,
siehe Buch Tobias. — Red.
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