http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0399
Bormann: Vorausschauen und Wahrsagen etc. 389
ethischen Anschauungen des Altruismus ist ein solcher
Egoismus nicht nur nicht unverträglich, sondern sie f o r d e r n
ihn ebenso unbedingt, wie der Altruismus insbesondere
nach Kaufs Fassung des Sittengesetzes vom transscendentalen
Egoismus vorgeschrieben wird; denn Kaufs Sittengesetz
befiehlt, dass „wir nichts thun sollen, was nicht bei gleichem
Verhalten aller erlaubt wäre, und dass wir jedes vernünftige
Wesen als Selbstzweck achten." Diese
negative Fassung hat Kant offenbar bevorzugt, weil bei
der Trägheit unserer irdischen Beschaffenheit dem Gewissen
die Empfindung dessen, was Frevel und Schuld ist, deutlicher
wahrnehmbar ist, als die Einsicht von alle dem, was
Heil und Segen verbreitet; und deshalb hätte sein Sittengesetz
an unmittelbarer Bestimmtheit für den Handelnden vielleicht
verloren, wenn er ihm die freilich um Vieles erhabenere
positive Vorschrift geliehen hätte, dass wir mit allen unseren
besten Kräften alles und jedes wirken sollen, was der
Wohlfahrt und zwar hauptsächlich der innerlichen Wohlfahrt
unserer Mitmenschen und der gesammten Menschheit dient.
Wie aber könnte es möglich sein, unser Selbst in solcher
Weise anderen und dem Ganzen segensvoll zu weihen, wenn
wir es nicht stark und tüchtig erhalten, wenn wir es nicht
vor allem seelisch so fleckenlos rein uns zu gewinnen
trachten, dass seine Darbringung wirklich als Heil der
Menschheit angesehen werden darf, und wenn wir nicht
endlich auch innerhalb der irdischen Existenz ihm die Bedingungen
äusserer und materieller Art zuwenden, unter
denen es Gesundheit und Auskommen, Ansehen und Würde
sich bewahrt?
Und wie bringt diese Willensfreiheit und sittliche
Freiheit in uns nun Kaut in Einklang mit dem rückhaltlos
von ihm anerkannten Zwange des Kausalitätsgesetzes,
dessen Geltung sich eben nach ihm nicht bloss auf die
Materialität der Aussendinge, sondern auch auf all unser
mit ihnen unlösbar verschlungenes Handeln und Denken
erstreckt? Indem ich die Zusammengehörigkeit des Freiheitsbegriffes
mit einem uns innerst angehörigen Principium
hervorhob, habe ich zu Kaufs unübertrefflichen Aufklärungen
über die Willensfreiheit, bereits den Weg gewiesen. Kant
verdeutlicht, dass die Weit der Erscheinungen,
in der ausnahmslos das Kausalitätsgesetz
herrscht, immer ja doch ein Gegebenes, das intelli-
gible Subjekt, in uns schon mit einer von Anfang
an vorhandenen Charakterbeschaffenheit vorfinde, welches
lebendig nach dem innerlichen Gesetze seiner Wesenheit
auch in sämmtlichen unverrückbaren Bestimmungen der
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0399