http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0405
v. Gaj: f Dr. phil. Emil Ritter von Krasnicki. 395
Kind mit der böhmischen Sprache bekannt zu machen, welche
Kenntniss hierorts (bei mehr als 80 Proz., vielleicht auch
90 Proz. slawischer Bevölkerung), für jeden, der von, mit
und unter den Leuten leben soll, doch als „conditio sine
qua nona erscheint. Ich absolvirte den Volksschulunterricht
zu Hause privatim in ausschliesslich deutscher Sprache, dann
das deutsche Unter gymnasiuin in Olmütz, so dass ich, als
ich, 13 Jahre alt, als Praktikant in die väterliche Apotheke
eintrat, von der Sprache der weitaus überwiegenden Majorität
der Bevölkerung nicht viel mehr verstand, als etwa vom
Chinesischen. Im Verlaufe der nun folgenden fünf Jahre,
die ich in der Apotheke, resp. zu Hause verblieb, eignete
ich mir erst durch den Verkehr mit den Leuten die notdürftigsten
Kenntnisse der böhmischen Sprache an, so dass
ich wenigstens so beiläufig verstand, was man sprach. Mein
Stand flösste mir schon damals nicht viel Interesse ein: ich
„schraubte mich los/ so viel ich konnte und las, las! Ein
dumpfer aber ungenossener Drang nach Bildung, Wissen,
Erkenntnis« beherrschte mich schon damals in meinen reiferen
Knabenjahren. Ich studirte aus eigenem Antriebe Schiller,
Goethe, Shakespeare, Lessing, Homer (in Forscher Uebersetzung),
das Nibelungenlied, Mythologie und Geschichte, begeisterte
mich an den Romanzen vom Cid Campeador und an der
Sprache des Cervantes, wie an Wielands Oberon, Tegner's
Prithjof und den Liedern Mirza Schaffy's. Interessante Reisen,
die ich in Begleitung meiner Eltern machte, — so in meinem
15. Lebensjahre bis Triest, Venedig, Verona, im 17. Lebensjahre
ganz Italien bis Rom, Neapel, Pompeji und auf den
Vesuv, — trugen dazu bei, meinen Horizont zu erweitern. Von
meinem 6. Lebensjahre an musikalisch unterrichtet und diesbezüglich
nicht untalentirt, ein für mein damaliges Alter
ganz netter Klavierspieler, ging mir auch in eben diesen
Jahren, angeleitet durch eine verständnissvolle Lehrerin, der
ich dafür zeitlebens dankbar sein werde, die Herrlichkeit
klassischer und edler Musik auf.
Daneben las ich auch fleissig naturwissenschaftliche
Aufsätze, allerdings sehr „populärer" Art, wie sie eben in
den verschiedenen zu Hause aufliegenden Zeitschriften geboten
wurden, und wurde so frühzeitig u. A. mit der
Descendenztheorie Darwin's bekannt, die mir sofort unbedingt
einleuchtete, mich aber, da ich damals noch nicht im Stande
war, die Seichtigkeit der daraus gezogenen journalistischphilosophischen
Polgerungen zu durchschauen, bald vollständig
ins materialistische Fahrwasser brachte. Dass ich aber in
weniger schwierigen Dingen schon damals im Stande war,
ein selbstständiges Urtheil zu fällen und zu verfechten, geht
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0405