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v. Gaj: f Dr. phil. Emil Ritter von Krasnicki. 397
So war das Studium zur Gymnasialmaturitätsprüfung aus
einem Mittel zum Zweck gar bald zum Selbstzweck geworden
und befriedigte mich derart voll und ganz, dass ich mit
gewissem Bangen der Zeit nach der Matura gedachte. Ich
beeilte mich daher auch nicht die Zeit meines Gymnasialstudiums
abzukürzen. „Verweile doch! du bist so schön!"
Endlich musste es doch sein. Der Tag kam. Er war ein
Ehrentag. Und doch schnürte es mir die Kehle zusammen,
als ich mich vom Inspektor, Direktor und sämmtlichen
Professoren verabschiedete, die mich alle mit der grössten
Liebe und herzlichsten Segenswünschen entliessen. Sie erwarteten
weiter Schönes von mir zu hören. Ich wusste es
besser. „Vorüber, vorüber! — Was nun?" das war der
Grundzug meiner damaligen Stimmung. Die Fachphilologie,
wie sie auf der Universität gelehrt wird, hatte mit meinem
Klassikerschönheitstraum nichts mehr gemein; also Kunst?
Wie? Wieso? Auch schienen mir damals die historischen
Fächer weniger geeignet eine Erkenntniss der Welt und des
Lebens zu erringen, welcher Drang bei allem Materialismus,
dem ich damals oberflächlich huldigte, mich doch gar kräftig
beherrschte. Einseitige Philosophie ohne naturwissenschaftliche
Kenntnisse erschien mir als Koloss auf thönernen
Füssen. Ich entschloss mich daher für Naturwissenschaften
mit Philosophie nebenher. Es war eine Vernunftehe. Mein
Herz hatte keinen Antheil daran, doch beruhigte ich mich
mit der seltsamen Idee, dass ich meiner allgemeinen Bildung
gerade dadurch besser nütze, wenn ich die mir weniger
naheliegenden naturwissenschaftlichen Fächer zu meinem
Hauptstudium erwähle, da ich mich auf den mich mehr
interessirenden historischen und künstlerischen Gebieten
ohnehin aus freien Stücken immer mehr ausbilden würde.
Ich wollte eben „Alles wissen" und das war meine tragische
Schuld. — Es begann nun eine lange aber ziemlich freudlose
Universitätszeit. Ich hörte Pflanzenphysiologie, Chemie,
Mineralogie, praktische Philosophie, arbeitete im petro-
graphischen Institut, im chemischen Laboratorium, hörte
Geologie, Palaeontologie, Psychologie, Harmonielehre u. s. w.
um schliesslich einzusehen, dass ich „so klug sei, wie zuvor."
Damit das grausame Spiel ein Ende habe, machte ich
schliesslich meinen philosophischen Doktor mit Chemie und
Physik. Das naturwissenschaftliche Rigorosum war kein
Heldenstück.
Ich ging missmuthig hin und kam missmuthig zurück.
Das war ein abgeraspeltes Examen, aber keine Leistung
gewesen. Ich empfand das dumpfe Gefühl der Unfähigkeit
und die bittere Erkenntniss, dass ich eigentlich Zeit und
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