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398 Psyohische Studien. XXVIll. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1901.)
Mühe verloren hätte, denn dadurch war ich um keinen
Schritt weiter gekommen. Der liebe Herrgott wollte aber
doch nicht, dass ich die „alma mater" mit solchem Eindruck
verlasse, und Hess mich im philosophischen Rigorosum einen
erquicklichen Abschluss finden. Als ich da die überraschten
Mienen der beiden examinireuden Professoren bemerkte, als
schliesslich beide aufstanden, mir mit ersichtlich aufrichtiger
Herzlichkeit die Hand schüttelten, sich für die „seltene
Freude44 bedankten, die ich ihnen durch mein Examen bereitet,
und mich nun ganz kollegial um meine persönliche Ansicht
hinsichtlich einiger psychologischer Probleme befragten, da
fühlte ich etwas von Andersen^ hässlichem jungen Entlein,
wie es von den Schwänen als einer der ihrigen begrüsst
wird, und das that mir wohl. Ich schritt nun zum letzten
Mal als cand. phil. die Treppen der Universität hinab mit
ähnlichem Gefühl, wie einst nach der Matura: „Vorüber,
vorüber! Was nun?44 — Eine Woche später erhielt ich mein
Doktordiplom. Mein Vater war zur Promotion nach Wien
gekommen. Auch er fragte mich: „Was nun? Willst du
jetzt nach Hause kommen?*4— „Ich kann nicht! Ich habe
noch keine Ruhe! Lass mich weiter mein Glück probiren!44
— „In Gottes Namen!44 —
Er war ein guter Mensch, mein Vater. Es schmeichelte
ihm wohl auch, den „bochtalentirten" Sohn von einem
(scheinbaren) Erfolg zum anderen fliegen zu sehen. Ich war
nun 28 Jahre alt geworden. Das bewegte Grossstadtleben,
weitere Reisen in den Ferien, der Besuch zahlreicher gediegener
Konzerte, Opern und klassischer Dramen, der Verkehr mit
einem philosophisch hochgebildeten Freunde von seltener
Geistesschärfe und einem kunsthistorisch gebildeten Freunde,
(heute o. ö. Prof. der Kunstgeschichte an der Universität Graz)
hatten mich so geistig regsam und frisch erhalten, dass ich
mich nicht anders fühlte denn ein lBjähriger Jüngling. So
ist es erklärlich, dass ich in Ueberschätzung meiner damals
noch vorhandenen Jugendelastizität den tollkühnen Versuch
wagen konnte, auf dem Gebiete der bildenden Kunst die
Befriedigung meiner frühjugendlichen Schönheitsträume und
damit die ersehnte Ruhe zu erreichen, obwohl meine Vorkenntnisse
auf diesem Gebiete überaus dürftiger Natur waren.
Gesagt, gethan! Mit einem in Anbetracht meiner 28 Jahre
wirklich seltsamen Feuereifer warf ich mich auf die Zeichnerei
und war nicht wenig stolz, als icli die Aufnahmeprüfung in
die Akademie der bildenden Künste in Wien thatsächlich
bestand und in die allgemeine Malerschule aufgenommen
wurde. Der Künstlertraum dauerte aber nicht sehr lange.
Ich musste bald die bittere Erfahrung machen, dass mir
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