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408 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 7. lieft. (Juli 1901.)
sonderbar; obsclion er alle diese Greuel verschuldet hat,
glaubt er durchaus nicht, ein Unrecht begangen zu haben.
Im Gegentheil, er bildet sich ein, er habe im Interesse
seines Vaterlandes ausnehmend edel gehandelt/4
„Können Sie sehen, wie es mit den Gesandten steht?
Sind sie wirklich schon todt, oder leben sie noch?"
,,Sie leben noch. [Jeberall um sie her herrscht Vei wirrung
und Verrätherei. Man behält sie aber als Geissehl in der
Hand. Todt sind sie nicht." Sie ging dann dazu über, mir
zu schildern, was sie als das schhessliehe Ergebniss des
Krieges sähe. Doch darauf komme ich später zurück, ich
muss hier etwas anderes einschalten.
Nach längeren Verzögerungen war es mir gelungen,
von Pastor Clark der „Christian Endeavour Convention44,
den Geleitbrief, den der russische Gesandte diesem in Peking
ausgestellt hatte, sowie eine Karte des amerikanischen Botschafters
zu erlangen. Ein langes Telegramm aus Shanghai,
das am J6. Juli in Europa eintraf, hatte die Nachricht
enthalten, dass alle Europäer von den kaiserlich chinesischen
Truppen und den Boxern mit allen nur denkbaren Grausamkeiten
niedergemetzelt worden seien. Als ich am Abend
dieses Tags zu Mme. Mongruel kam, war sie gerade im
Begriff sich zur Ruhe zu begeben. Sie schien sehr ermüdet
und recht wenig aufgelegt, mir noch eine Sitzung zu gewähren
. Allein auf mein inständiges Bitten hin gab sie
endlich nach und wollte versuchen, was zu machen war.
Sobald sie in Trancezustand übergegangen war, sagte sie,
ohne die mitgebrachten Briefe oder jene Karte berührt zu
haben:
„Ich sehe den britischen Gesandten vor mir. Er führt
das Commando. Er lebt noch, ebenso seine Frau und seine
Kinder; aber er befindet sich in grosser Aufregung und
Sorge. Er kann sich den Ausgang der Sache nicht anders
vorstellen, als so, dass sie Alle miteinander in irgend einem
Moment von den Chinesen überfallen werden, und hat sich
zu dem Ende eine Waffe zugesteckt, entschlossen, sobald
die Chinesen in die Gesandtschaft einbrechen sollten, sofort
seine Frau und seine zwei Kinder niederzuschiessen. Dies
hat er sich fest vorgenommen"
„Sehen Sie seine Frau?a
„Jawohl! Sie ist sehr ruhig und nicht so ängstlich, wie
ihr Gentahl. Es ist wirklich merkwürdig: sie scheint sich
mehr vor ihm, als vor den Chinesen zu fürchten; denn sie
fürchtet, er könnte, wenn plötzlich ein falscher Alarm entstünde
, ihr und ihren Kindern das Leben nehmen, um sie
vor der Gefahr zu bewahren, zu Tode gemartert zu werden.
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