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Ueber krankhafte Bewusstseinsstörungen
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es Fälle, in denen das äussere Verhalten der Kranken
überhaupt kaum verändert erscheint; es herrscht dann ein
epileptischer Dämmerzustand, oft analog dem normalen
Traumleben; meist sind es ganz ausserhalb des normalen
Zusammenhangs liegende, dem Kranken selbst ganz fremde
Handlungen, welche auftauchen. Hierher gehören die Zustände
, dass Kranke plötzlich den Trieb empfinden eine
Ortsveränderung vorzunehmen, weite Wanderungen und
grosse Reisen unternehmen, ohne dass man ihren Zustand
ihnen anmerkt, und oft erst in fernen Ländern zum vollen
Bewusstsein kommen. Auch Brandstiftungen, Betrügereien,
Diebstähle werden in solchen Fällen gestörten Bewusstseins
nicht selten ausgeführt. Gewaltthaten, wie sie bei Epileptikern
gleichfalls nicht selten vorkommen, zeichnen sich oft durch
eine besondere und zur Erreichung des Zwecks gar nicht
nöthige Brutalität aus. Bisweilen beschäftigt sich der Kranke
unmittelbar nach Verübung irgend einer Schreckensthat mit
gleichgiltigen Diugen, bringt seine Kleider, seine Manchetten
in Ordnung odei verfällt in ein stumpfes Vorsichhinbrüten,
den sogenannten epileptischen Stupor. Siemerling hat nachdrücklich
darauf hingewiesen, dass dies immer Zeichen einer
bestehenden Bewusstseinsstörung sind.
Was den übermässigen Alkoholgenuss betrifft,
so lässt er nicht nur schon vorhandene geistige Abweichungen
stärker hervortreten, sondern er ruft auch eigene Störungen
hervor. So kann chronischer Alkoholmissbraueh vorübergehende
Trinkerdelirien, halluzinatorische Störungen
(Sehen von Gestalten, Hören von Stimmen und dergl.) und
die besondere, auf Alkoholmissbrauch beruhende Form der
Epilepsie vorbedingen. Auch bei diesen Zuständen auf
alkoholistischer Grundlage ist das Wesentliche, dass das
Bewusstsein der wirklichen Beziehungen der Dinge unter
einander gestört ist, wodurch eben das Auftreten theils von
Illusionen, theils von förmlichen Halluzinationen bedingt
erscheint. Auch hier äussern sich verbrecherische Impulse
sehr leicht; aber Gewalthandlungen richten sich bei
den alkoholistischen ßewusstseinsstörungen nicht wie bei den
Epileptikern gegen die erste beste Person, sondern gegen
bestimmte Persönlichkeiten, mit denen der Alkoholist auch
im bewussten Zustand sich beschäftigt. Hierher gehören
zahlreiche Eifersuchtsverbrechen, Gewaltthaten gegen die
eigene Ehefrau und die eigenen Kinder und dergl. Was
endlich die Bewusstseinsstörungen der Hysterischen
betrifft, so wird Hysterie in Laienkreisen mit Unrecht für
nichts anderes als eine Art höhere Simulation gehalten. Die
Grundzüge der Hysterie liegen vielmehr in der allgemeinen
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