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438 Psychische Studien* XXVHI. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1901.)
Labilität des psychischen G leichgewichts, abnorm
gesteigerter Erregbarkeit und Zurücktreten des ruhigen Abwägens
gegenüber der Gefühls- und Phantasie-Thätigkeit.
Entsprechend der physiologischen Prädestination des weiblichen
Geschlechts ist die Zahl der weiblichen Hysterischen
grösser als die der männlichen, keineswegs aber ist das
hysterische Temperament ein Privilegium odiosum des weiblichen
Geschlechts. In den vorübergehenden Störungen der
Hysterischen giebt es wieder viele Abstufungen; das Gemeinsame
aller dieser Zustande ist aber wiederum die Trübung
des Bewusstseins, und zwar sind es meistens Wahrnehmungen
und Vorstellungen des wachen Lebens, die den Anstoss zur
Hysterie gegeben haben und nun in den Zustand des gestörten
Bewusstseins hineinragen. Auch hier kommt es oft zu
verbrecherischen Handlungen, aber an Stelle der Kapitalverbrechen
treten Schwindeleien, Diebstähle, Betrügereien
Auch bei diesen Kranken zeigt sich oft der Trieb davonzulaufen
und ruhelos umherzuziehen. Unter Umständen werden
auch Traum Vorstellungen in den wachen Zustand
hinübergenommen, ähnlich wie bei posthypnotischer
Suggestion, bei welcher jedoch die Annahme der Möglichkeit
, dem betreffenden Subjekt ein seinem sonstigen Charakter
zuwiderlaufendes Verbrechen zu suggeriren, durch die
bisherigen Erlahrungen nicht gerechtfertigt erscheint,
indem die bekannten Laboratoriumsversuche mit einem Stück
Papier als Dolch oder einem harmlosen Pulver als Gift noch
nichts Sicheres beweisen. Die Kenntniss solcher Zustände
ist aber in forensischer Beziehung deshalb von besonderer
praktischer Bedeutung, weil sie vor Gericht oft für Simulation
gehalten werden.— Der Redner schloss mit dem Hinweis, dass
alle diese Thatsachen auf dem Wege klinischer Beobachtungen
festgestellt seien und erhob die Forderung, dass bei Feststellung
zweifelhafter Geisteszustände vor Gericht niemals
ein einzelnes Symptom massgebend sein dürfe, sondern vielmehr
stets das ganze Individuum beurtheilt werden müsse
und dass in solchen Fällen die Hinzuziehung medizinischer
Sachverständiger dringend geboten erscheine. Von Laien
vorgenommene hypnotische Experimente und öffentliche
Schaustellungen sollten wegen ihrer grossen Gefährlichkeit
unbedingt verboten werden.
Kurze Notizen.
d) f P. Leymarie, seit 4870 Chefredakteur der von
Allan Kardec begründeten „Revue Spirite" und Haupt der
kardecistischen Schule in Frankieich, hat nach lauger und
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