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Grubalke: KeYncarnatioii.
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Leiden seine Früchte bringt zu seiner Zeit, und dass all
die zu unserem Heile nothwendigen, selbstverordneten Leiden
dieser Zeit nicht werth sind der Herrlichkeit die an uns
soll offenbar werden — an uns, d. h. an Allen ohne Ausnahme
; denn in allen Menschen muss und wird die sich in
das Gewand der Gerechtigkeit hüllende göttliche Liebe
die Schatten des geistigen Todes zerstreuen und in Gott
vollenden, was in Gott und aus Gott begonnen war. Die
Naturwissenschaft nennt es: Erhaltung der Kraft! —
Zum Schluss begegne ich noch dem vulgärsten und
leichtesten Einwurfe gegen die Lehre von der Wieder-
verkörpeiuiig, dem nämlich, dass ein früheres Leben für das
jetzige keinen praktischen Werth haben könne, da man
desselben sich nicht mehr erinnere. Dagegen werfe ich die
Frage auf, ob denn der Erinnerung an die einzelnen Momente
der Vergangenheit überhaupt ein praktischer Werth beizumessen
ist. Nämlich: haben jene unsere Erfahrungen weder
unsere Kraft gestählt, noch unsere Erkenntniss geklärt und
erweitert, so sind sie, selbst erinnert, heute Blüthen, welche
die Zeit vom Baume des Lebens früher oder später ab weht;
— haben sie dagegen unseren sittlichen, intellektuellen
irdischen Barbestand bereichert, so liegt in dem Genuss
dieses aus der Vergangenheit herüber genommenen Besitzes,
auch wenn wir uns der Geschichte seines Erwerbes nicht
mehr erinnern, ein bleibender Werth unserer Erfahrungen.
Der Werth und die Verwerthung unserer Erlebnisse und
Erfahrungen ist also durchaus davon unabhängig, ob das
Gedächtniss uns phonographisch wiederholt, wie sie erlebt
und erworben worden sind. Auch Umfang und Inhalt unserer
Erinnerung ist keine bestimmte Grösse, kein unentbehrlicher
Paktor in dem grossen Rc chenexempel unseres Lebens: „Nur
was der Augenblick erschafft, das kann er nützen!" Es
findet zu wenig Beachtung, ein wie grosses Stück unseres
Lebens uns unbewusst verläuft, mithin niemals Gegenstand
unserer Erinnerung werden kann, also auch uns unbewusst
bleibt: so unbewusst ist die unser Leben in der Hauptsache
präformirende Entwickelung im Mutterleibe, unbewusst die
ersten eindrucksfähigsten Kinderjahre, unbewusst der grosse
Theil des Lebens, den wir verschlafen, unbewusst die
vegetativen, Leban erhaltenden Funktionen unseres Körpers,
die Verdauung, die Athmung, die Blutbildung, der Blutumlauf
sammt der Herz- und Lungenthätigkeit, sowie jeder Ge-
sundungsprozess. — Zum anderen ist nicht ausser acht zu
lassen, wie viel uns unbewusst wird, aus dem Gedächtniss
schwindet, ohne dass das vergangene Leben irgend an
Werth für die Gegenwart verlöre. Der Zinsgenuss eines
Psychische Stadien. August 1901. 31
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