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W— Erdensohn: Kirchliches Christenthum und Spiritualismus. 489
In Betreff der kirchlichen Lehre von der Ewigkeit der
Höllenstrafen ist noch hinzuzusetzen, dass in den Ueber-
setzungen der Aussprüche Christi in den Evangelien, an
Stelle des Begriffes einer lange andauernden Zeit, das Wort
„ewig" gestellt worden ist, das Wort „Hölle" aber als
Begriff des Zustande» des inneren geistigen Elends zu verstehen
ist Ursprünglich verstand man unter diesem Begriff
einen Uebergangszustand im Sinne des griechischen
Wortes „Hades" und des hebräischen „Scheol" (d. i.
Grube).
Der von Ihnen angeführte Text (Marc. 16, 16), der viel
Unheil und Konfusion gestiftet hat und offenbar sehr ungenau
Christi Worte wiedergiebt, lautet: „Wer da glaubet und
getauft wird, der wird selig werden, wer aber nicht glaubet,
wird verdammt werden" (das Wort „verdammt" ist nicht
richtig übersetzt; nach der genaueren Uebersetzung heisst
es „verurtheilt", also gestraft). Diesen Text würde ich
folgendermassen verdolmetschen: Wer au die erhabene sittliche
Lehre Christi, die das Gute will, glaubt (der Glaube
hat nur insofern Bedeutung, als er mit dem Zustande des
Strebens nach Reinigung und des inneren Erkennens vereinigt
ist) und sie befolgt, mit Vermeidung des Bösen, der
wird den Zustand des inneren geistigen Glückes erringen,
wer es aber nicht thut und sündlich bleibt, wird es abbüssen,
sühnen müssen. Was das Wort ,.getauft" anbelangt, so war
die Taufe ein äusserlicher Akt der Weihe, ein Symbol des
Anschlusses an die Lehre Christi. Solch ein Akt der Einverleibung
in die Lehre Christi hatte dazumal Bedeutung in
dem Sinne, dass die an Entwickelung damals wenig vorgeschrittenen
Menschen eines sichtbaren Zeichens bedurften
und sich nicht mit der Aenderung ihres inneren Wesens
allein zu begnügen vermochten.*) Deutlicher sind die Stellen
Joh. 3, 18 und 5, 24, besonders die letztere; doch da steht
an erstbezeichneter Stelle noch das Wort „eingeborener
Sohn", womit Christus offenbar den Zustand der sittlichen
Reinheit meinte, welcher ihm eigen war, jenen erleuchteten
inneren Zustand, welcher sozusagen das „Himmelreich"
ausmacht und ihn vollkommen berechtigte, sich als Sohn
*) Dass Christus aber nicht gemeint haben kann, die Vollziehung
dieses äusserlichen Aktes der Taufe (des Symbols der Eeinigung durch
Abwaschung der Händen) sei eine unumgänglich nothwendige Bedingung
, ohne welche es nicht möglich wäre, der Seligkeit theilhaftig
zu werden, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Welches wäre
im entgegengesetzten Falle das Schicksal aller der [Jngetauften, also
der unendlich überwiegenden Mehrzahl der Menschheit, und wo bliebe
dann die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit des Schöpfers?J
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